Mitten im Confinement

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Heute gibt es bei Beckers was zu feiern. Schon um 5.30 Uhr stand mein Mann mit Rosen vor mir. Er vergisst ihn nie- unseren Hochzeitstag. Die Blumen sind seine Tradition. Es ist nicht so, dass ich sonst keine bekäme, aber – ihr wisst das sicher selbst- an solchen Tagen und gerade während einer so ungewöhnlichen Zeit, sind sie Balsam für die Seele. Ich denke an unsere Hochzeit zurück und ich muss lachen. Gerade gestern Abend hat meine englische Nachbarin Melody dazu noch gemeint: You are a nut 🙂 Du bist verrückt. Bei der Hunderunde im Oktober vor vielen Jahren entschieden zu heiraten, dann auf dem Standesamt angerufen und wann war noch ein Termin frei? 14 Tage später- am 11.11. – fuhren wir nach Saarburg, die Ringe mussten noch schnell abgeholt werden und dann, ein paar Stunden später, waren wir Herr und Frau Becker. So schnell ging es 🙂

Zurück auf den Blauberg- es ist heute ungewöhnlich still hier auf dem Berg. Auf der Hunderunde kommt mir niemand entgegen, obwohl ich für meine Verhältnisse doch recht spät dran bin- Bragi, Klara und ich haben uns schon daran gewöhnt, dass die Runden seit dem Confinement etwas kürzer sind, aber so ganz ohne Begegnung mit anderen… komisches Gefühl. Der Himmel scheint mir fast auf den Kopf zu fallen, so schwer hängen die tiefen Wolken daran. Als ich durch den Stadtpark spaziere, wird die Eselin – ich nenne sie mal Lola- und Bert das Lama gerade gefüttert. Hansi, der Widder, schaut uns schon von weitem missgünstig an und hat Angst, dass ihm Bragi das Futter stiehlt. Aber der steht nur auf die hübschen Schafsmädchen, die auf den Wiesen des Stadtparks als ökologische Rasenmäher dienen und auf dem Weihnachtsmarkt hinter Lola die zweitwichtigste Nebenrolle beim Krippenspiel besetzen. Und genau bei diesem Gedanken denke ich an die vielen abgesagten Weihnachtsmärkte und wie es auch da still sein wird in unseren Städten. Der Tierpfleger holt mich mit einem höchst freundlichen „Bonjour, Madame!“ aus den Gedanken. „Bonjour Monsieur! Heute ist wirklich kein schönes Wetter- macht das der Eselin etwas aus?“ „Ach Madame, pas de soucis! Keine Sorge, der macht das nichts aus. Die hat ein dickes Fell – genau wie ich!“ Er lacht und säubert mit seiner Mistgabel weiter das Eselgehege „Ei dann ist es gut- ich mach mich mal auf den Heimweg! Bonne journée! Einen schönen Tag noch!“ Er schaut auf, lächelt „Ihnen auch einen schönen Feiertag!“

Und da fällt es mir wieder ein- der 11.11. ist in Frankreich ein Feiertag. Armistice- der Tag des Waffenstillstands – das Ende des ersten Weltkrieges. Hier hat diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts noch einen anderen Namen „La Grande Guerre“- der große Krieg. Die Erinnerung an ihn wird hochgehalten- immerhin hatte fast jede Familie Gefallene zu betrauern. Als ich den Berg hinauflaufe, muss ich am alten, verlassenen Hospital vorbei. Bevor ich hierher gezogen war, wusste ich nicht, dass Alfred Döblin (Autor von „Berlin Alexanderplatz“) hier Militärarzt gewesen war. Genau hier hatte er in den Wirren des Krieges praktiziert- und es hat ihm gar nicht gefallen. Er vermisste die Großstadt- mit dem Charme einer Kleinstadt des damaligen Reichslandes Elsaß-Lothringen und der ländlich geprägten Umgebung konnte er nichts anfangen. Schlimme Zeiten damals 14/18— ein schreckliches Kapitel in der wechselleidenden Geschichte dieser Region. Und heute? Militärparaden und Gedenkveranstaltungen übers ganze Land- auch in Sarreguemines vor dem Gericht- natürlich ohne Zuschauer. Die Erinnerung an diesen Krieg ist wach und manchmal auch ambivalent für mich. Auf der einen Seite die Erinnerung an ein Ereignis, bei dem die Deutschen so viel Leid über meine Region gebracht haben- und der Appell an alle Generationen, dass das nicht mehr passieren darf. Auf der anderen Seite das Erinnern an alte Wunden, an alte Ressentiments, die sich während der Grenzschließung im Frühjahr als schrecklich existent erwiesen. Alles nicht so einfach. Vergessen darf man nie- die Form der Erinnerung in Frankreich unterscheidet sich vehement von der in Deutschland, wo man diesen Tag in der Schule nur am äußersten Rande behandelt- wenn überhaupt.

„Meine Adresse ist : Saargemünd“- so schrieb es Alexander Döblin in einem seiner Briefe an Herwart Walden am 3.1.15. Ich schreibe heute: „Meine Adresse ist: Sarreguemines“- am Jahrestag eines der schönsten Ereignisse meines Lebens- in sorgenvollen Zeiten von Covid19 und Corona-Confinement- aber im Gegensatz zu Döblin 1915 in einer Zeit von Frieden und Freiheit.

Ich schicke euch die liebsten Grüße vom Blauberg und wünsche uns allen, dass wir keine Kriegszeiten hier im Herzen Europas mehr erleben müssen. Allen Corona-Infizierten auf beiden Seiten der Grenze eine gute Besserung und allen anderen hüben wie drüben: Bleibt gesund!

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