Der erste Ferientag in Frankreich. Anders als in Deutschland bemerkt man den Beginn der Ferien direkt am Verkehr und der abnehmenden Geschäftigkeit. Die Sommerpause dauert in Frankreich zwei Monate und ist wirklich eine Pause. Sie beginnt mit Saschas Geburtstag und endet immer an meinem. Bis dahin schläft die Republik und träumt von unbeschwertem Leben, Urlaub im Süden- nicht in Spanien, sondern zumeist in Südfrankreich oder Korsika, einem Inlandsflug nach La Reunion oder französisch karibischer Unbeschwertheit.
Alles neu macht der Mai sagt ein Sprichwort- bei mir ist es dieses Jahr eher der Juli. Das Ende des Schuljahres bietet sich an auszumisten. Nachdem ich nun seit einigen Tagen die Neugestaltung meines Büros vorangetrieben habe und für kurze Zeit Stammkunde bei Ikea in Saarlouis und Metz wurde, durfte unser alter Berlingo gestern die letzten Kartons und Ordner zur örtlichen Decheterie, der Saargemünder Sperrmüllentsorgung bringen.
Die Männer dort gehen beim Ausladen und Containerfüllen freundlich zur Hand. Normalerweise geht es in der Decheterie recht gesittet zu- nur wenn einer meiner französischen Mitbürger versucht einen schwarzen, mit Haushaltsmüll gefüllten Sack in den „Da kommt Restmüll rein“- Container zu werfen, kann es sein, dass dem sonst so netten Entsorgungsmitarbeiter die Hutschnur hochgeht und er einen lauten Schrei abgibt. Bei genauerem Hinhören ist es eher ein lauter Jammerschrei- fast immer auf Französisch, aber auch im Saargemünder Platt. „O lala! Was machen dann ihr do?“….ein „och nee… nicht schon wieder!“ Daraus schallt die fast schon kollektive Erkenntnis über den, meinen Franzosen fast schon angeboren scheinenden Willen, sich nicht allen Regeln beugen zu wollen- und natürlich die „Einmal ist doch nicht so schlimm!“ Regel. Einmal die Regeln übertreten, selbst wenn es bei der Dechetterie ist- einmal ist doch nicht so schlimm.
Dazu gesellt sich die „Ich zahl das ja auch!“-Regel. Manchmal erwartet man beim Beobachten der ganzen Diskussionen, dass der Regelverletzer gleich seinen Zahlbescheid für die Müllgebühren herauszieht und ihn dem kommunalen Mitarbeiter als Rechtfertigung unter die Nase hält. Am französischsten finde ich die „Ich war es nicht!“ Regel. Dabei wirft jemand einen besagten schwarzen Sack in den Restmüll- in den Container, in den normalerweise nur Plastik gehört, der Sack klirrt , platzt auf und Hausmüll, Weinflaschen, HundefutterDosen und normaler Küchenabfall verteilt sich auf das bereits von anderen richtig entsorgtem Plastik. Nicht, dass es für jeden Müll einen eigenen Entsorgungscontainer gäbe?! Besser ist es alles in einen Sack zu packen und ihn auf der Dechterie in irgendeinem Container zu entsorgen.
Ich durfte das auch schon beobachten: Der ‚Täter‘ fuhr rückwärts zum Container mit der Aufschrift „Tout venant“ (PlastikRestmüll, kleiner Sperrmüll), schaute sich um, ob ein DecheterieMitarbeiter zusieht, öffnete die Heckklappe seines französischen Kastenwagens und warf vier Tüten voll mit Hausmüll in den Container. Alle zerbarsten laut hörbar auf dem Boden des Containers. Mit ihm zusammen warfen noch drei andere Leute Sachen in den Container. Der Mitarbeiter kam hinzugelaufen und als er fragte, von wem das wäre, zuckte jeder nur die Schultern- auch der Mann, der die Säcke hineingeworfen hatte.
Ich stand fassungslos auf der gegenüberliegenden Seite der Decheterie als der ‚Schuldige‘ breit grinsend an mir vorbeifuhr, die „ich-war-es-nicht“ und die „wir-verpfeifen-keinen“ – Regel griff mal wieder. Den Mitarbeitern der Decheterie muss ich ein dickes Lob aussprechen. Ganz ehrlich- ich würde da oben die Nerven verlieren. Da passieren die unglaublichsten Dinge.
Ich bin nicht so oft da, aber was ich da schon gesehen habe:
Es gibt nur eine Einfahrt mit Schranke. Die Schranke öffnet sich nur mit persönlicher CodeKarte- da war ein Mann in den 40ern, der hatte die Karte vergessen, kurzerhand fuhr er falsch rum in die Anlage. Jeder hupte und den ohne Karte interessierte es nicht. Unbeirrt fuhr er weiter und wir alle mussten ihm Platz machen. Es gab Deutsche, die dachten, sie könnten ihren Müll ohne Berechtigung kostenlos in Sarreguemines entsorgen und dann über Europa und gleiches Recht für alle mit den Kommunalarbeitern disputieren.
Viele kleine AutoRempler hab ich beobachtet, aber keiner regte sich auf, weil gefühlt sowieso jeder ein „Extra-Auto“ hat, um solche schmutzigen Sachen wie die Decheterie zu erledigen.
Alles in allem sind meine Helden da oben die Mitarbeiter, die trotz all dem Durcheinander den Überblick behalten und für die Deutsche mit dem blauen Berlingo ein Lächeln und ‚ne helfende Hand‘ übrig haben. Die Decheterie ist wie ein Miniaturfrankreich: viel Verkehr, viele Leute, viel Palaver und irgendwie gibt es immer etwas zu schmunzeln.
Ob die Träume für die Decheterie-Mitarbeiter auf diszipliniertere Kunden in Erfüllung gehen, ob das „Hexagone“ wie unser liebes Frankreich auch genannt wird, endlich aus diesem Covid-Albtraum erwacht und seine Lebensfreude wieder so richtig aufflammt, das bleibt weiter abzuwarten. Wir tun alles dafür.
Bleibt gesund! Ein schönes Wochenende 🙂