Als wir vor vielen Jahren auf den Blauberg gezogen sind, hat uns unser Haus gleich verzaubert. Welches Zimmer das Meine werden sollte, war sofort klar. Die Gaube nach vorne heraus, direkt unterm Dach mit Blick auf unsere kleine Straße hatte es mir sofort angetan. Saschas Plattenzimmer grenzt an unser Wohnzimmer und ich arbeite direkt darüber mit Blick auf alles, was sich in der Rue der Camelias so tut. Mittlerweile steht in meiner Gaube ein grünes Sofa, das mein Arbeitszimmer zu meinem Schul-Zoom-Zimmer oder Facetime- Kontakt-nach- außen- Zimmer werden ließ. Gemütlich lässt es sich hier sitzen, lesen, schreiben und telefonieren. So war es auch letzte Woche, während des großen Regens.
Mein Fenster stand offen, ich saß auf dem Sofa und zoomte gerade mit einer meiner Cousinen, als von draußen Julie nach mir rief. Ich hatte sie früh morgens schon schreien gehört, aber ich dachte, Loic oder Theo hätten Unfug getrieben und maß ihrer lauten Stimme keine große Bedeutung zu. Ich musste sogar schmunzeln, weil die beiden Jungs zu richtigen Lausbuben im besten Sinn herangewachsen sind. „Nadine! Nadiiiiiiiine!“ Ihre Stimme klang jetzt anders und ich wunderte mich, dass sie bei strömendem Regen draußen war. Ich streckte meinen Kopf durch mein Gaubenfenster und sah Julie die Kapuze über den Kopf gezogen, in Gummistiefeln, völlig durchnässt in strömendem Regen vor dem Haus stehen. „Hast du unsere Hasen gesehen? Wir suchen sie schon den ganzen Morgen! Du hörst mich bestimmt schon die ganze Zeit rufen!“ Darum hatte sie also herumgeschrieen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. „Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt? Wir hätten dir suchen helfen können!“ „Ich hab überall gesucht und der kleine, der ängstliche Schoko ist nicht zu finden! Es ist wie letztes Jahr! Weißt du noch während des Confinements? Nur dieses Mal hat Loic das Hasengatter aufstehen lassen! Lapidou, der große Hase ist wieder da, aber Schokooooooooo ist unauffindbar!“ „Ich komme sofort runter! Sascha ist zuhause und kann auch suchen helfen. Vielleicht sitzt er bei uns hinter dem Haus!“ „Ja, das wäre super! Aber ihr müsst euch zuerst noch um euren Vogel kümmern!“ Unseren Vogel? Schoss es mir durch den Kopf. „Wir haben keinen Vogel, Julie!“ „Doch, auf eurer Treppe sitzt ein kleiner Vogel!“ Als hätte ich es geahnt, zwei Tage vorher hatte ich mich mit Sascha noch unterhalten, was wir machen würden, wenn einer der kleinen Mauersegler, die unter unserem Hausdach nisten aus dem Nest fallen würde. Das Gespräch mit meiner Cousine musste ich jäh abbrechen und rannte die Treppe hinunter, um den kleinen Nestling vor den Fängen der Nachbarskatzen zu retten. Als Sascha und ich dann auf unserer Treppe standen, da saß da völlig durchnässt und hilflos wirklich ein kleiner Mauersegler. Ihr müsst wissen, ich hab Angst vor kleinen Tieren und so war Sascha sein Retter in größter Not. Schnell eine alte Kiste und ein Handtuch- Sascha setzte den Kleinen behutsam in die Notbehausung und nahm ihn mit herein, während Julie und die Kinder weiter den verlorenen Hasen suchten. Was tun? Da war guter Rat teuer. Auf Facebook in einer entsprechenden Gruppe um Hilfe gefragt und direkt erhalten. Es war zu spät den Kleinen noch in die Wildvogelauffangstation zu bringen, aber am nächsten Morgen um Acht stand die Kiste mit dem kleinen Mauersegler, in der er sich es schon ganz gemütlich gemacht hatte, auf dem Tisch der Wildvogelauffangstation in Püttlingen. Eine deutsch- französische Rettungsaktion war gelungen, der Mauersegler wieder in Sicherheit. Mission geglückt.
Zurück in unserer Straße, war ich verwundert, was am Place des Fleurs geparkt war: eine ganze Reihe Elektroroller war anscheinend in der Stadt verteilt aufgestellt worden. Auf ihnen steht der Name der Verleihfirma „Bird“, zu deutsch Vogel. Ich musste schmunzeln und an den kleinen Mauersegler denken. Noch mehr musste ich allerdings schmunzeln, als ich mir vorstellte, wie Sascha und ich sicherlich in nächster Zeit die rollenden Vögel ausprobieren und uns zur Lachnummer der Straße machen würden. Wieder die zwei verrückten Deutschen, da vorne. Ich stieg aus meinem Auto und kaum hatte ich die Tür zugeschlagen, kam Theo auf mich zu. „Nadine, Nadine!“ Ich dachte gerade schon darüber nach, wie ich ihn über den Hasenverlust trösten könnte, da schoss es schon aus ihm heraus: „Er ist wieder da! Schoko ist wieder da! Ich hatte solche Angst, dass er nicht mehr kommt und konnte nicht schlafen. Da bin ich zu Loic hinüber in sein Zimmer geschlüpft und wir haben beide zum Hasengott gebetet, dass er Schoko zurückbringt. Jetzt ist er wieder da!“ Das Kinderlachen schallte über den Berg und auch ich war dankbar, dass der Hasengott einsichtig gewesen war. Abends sah ich zu Julie, Eric und den Kindern hinüber, als Loic gerade die Hasen fütterte. Er prüfte gefühlte 100mal, ob das Gatter wirklich geschlossen war und ging dann zufrieden zum Abendbrot.
Ich sitze jetzt wieder in meiner Gaube und wähle die Nummer meiner Kusine. Sie lacht ins Telefon, als ich ihr die tierische Geschichte vom MauerseglerNestling und Schoko erzähle. „Siehst du,“ sagt sie, „das ist wirkliche deutsch-französische Zusammenarbeit!“ Draußen höre ich die Jungs toben und die Mauersegler pfeifen- wieder alles im Lot auf dem Blauberg. Bleibt gesund da draußen und denkt dran, der Piks tut nicht weh!



