Tag 53 der Ausgangssperre

Seit der Verkündung des Deconfinements ab Montag, hat sich die Atmosphäre hier auf unserem Berg etwas verändert. Sie ist in allgemeines Warten umgeschlagen- Vorbereitung für das Stück alte neue Freiheit werden getroffen- Autos werden geputzt, mehr Leute sind auf der Straße zu sehen. Es ist schon ein klein wenig betriebsamer- selbst gestern am Feiertag.

Als ich aus meiner Haustür trat, stand da schon wieder eines von Erics Schätzchen- ein 1968er Matra 530. Bevor ich hier wohnte, kannte ich diese AutoMarke überhaupt nicht, dann hat Eric mir erklärt, dass das Unternehmen irgendwann in den 70ern mit der Marke Simca fusionierte. Die wiederum kenne ich- das erste Auto meines Großvaters in den 60ern war ein französischer Simca. Da stand er nun dieser Matra und weckte durch ein besonderes Detail die Erinnerung an meine Kindheit- die gelben Scheinwerfer. Könnt ihr euch noch erinnern, als man abends oder nachts auf der Straße erkennen konnte, ob sich da ein Franzose oder ein Deutscher nähert? Natürlich hatte der Franzose es dann immer eiliger, fuhr immer etwas schneller als ein Deutscher. In der ersten Zeit hier mussten wir einige Dinge in Sachen Autofahren lernen- vor allem die größte verkehrstechnische Errungenschaft- den französischen Kreisverkehr. Die Regeln sind etwas anders: Regel Nummer 1- Verkehr ist in Frankreich Krieg- wer stehen bleibt, verliert. WIe oft verzweifelten arme Saargeminner, wenn wir wieder vor ihnen in den Kreisel einfuhren, wie oft schimpften andere französische Autofahrer, wenn ich mich nicht traute im Kreisel auf die Innenspur zu fahren. Am lustigsten finde ich heute noch die Zebrastreifenregelung. Fährt man in Überherrn über die deutsch-französische Grenze, stehen da große Schilder, dass man in Deutschland am Zebrastreifen anhalten muss. Ich hielt und halte immer noch an, wenn da jemand am Zebrastreifen steht. Hinter mir waren schon mehrfach Hupkonzerte zu hören. Ein sehr netter Gendarm hat mir mal erklärt, dass die ZebrastreifenRegelung in Frankreich so aussieht: Der erste Streifen befindet sich – anders als in Deutschland- auf dem Trottoir. Der Fußgänger tippt mit seinem Fuß- für den Autofahrer sichtbar (?!?!) auf diesen ersten Streifen und aktiviert ihn quasi dadurch. Dann muss man anhalten. Ich hab noch nie jemanden mit einem Fuß auf den Zebrastreifen tippen sehen- deshalb gilt bei mir die Regelung: Steht da jemand – dann anhalten. Beobachtet habe ich allerdings, dass die meisten Fußgänger auf das Nummernschild des ankommenden Autos schauen und bei einem deutschen eher früher losgehen und bei einem französischen Plaque erst mal abwarten. Steht man dann und lässt den Fußgänger über die Straße gehen, dann bedankt er sich freundlich durch ein kurzes Nicken oder einen Wink- das ist Usus.

Selbst mein Vater- der alte erfahrene pensionierte LKW- Fahrer, gibt seinen Schlüssel gerne an mich weiter, wenn er hier her kommt und wir noch was einkaufen gehen. Er hat mich vor ein paar Jahren- ich hatte gerade gelernt, dass im französischen Kreisel eine „Links- vor—rechts-Vorfahrtsregelung“ gilt- geadelt, als er, während er sich an der Handschlaufe über der Seitentür festhielt- zu mir sagte: „Du fährst schon wie ein Franzose!“ Ich fahre immer noch sehr deutsch, halte mich weitgehend an die Geschwindigkeitsbegrenzungen- denn in einem unterscheiden sich Frankreich und Deutschland noch: in den hohen Bußgeldern hier bei uns.

Also fahrt vorsichtig, wenn ihr wieder rüber dürft und bleibt gesund

Tag 51 der Ausgangssperre

Auf den alten saargeminner Postkarten, die ich seit einigen Jahren sammele, sieht man, dass das Gebiet hier oberhalb des alten Hospitals lange Zeit nur spärlich besiedelt war. Die Faiencerie der Stadt war schon längst für ihre Porzellankunst über ihre Grenzen hinweg bekannt, doch bedurfte es noch eines Wirtschaftsbooms wie Anfang der 1870er Jahre, um ins ganz große Geschäft einsteigen zu können. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung kam auch die Besiedlung unseres Blaubergs. Es ist vieles Alte bis heute erhalten, aber trotzdem braucht es auch Neues.


Zum Beispiel das Internet. Wir haben hier eine -sagen wir es mal bescheidene- Internetanbindung. Um uns herum sind sämtliche Straßen bereits mit Glasfasernetz ausgebaut, die Geschwindigkeit dort geht ins Uferlose. Wir hier in unserer Straße, sitzen immer noch im DSL 6000 kb Bereich. Das kann schon relativ nervig sein und Sascha der Arme spürt es momentan jeden Tag. Ich gebe meinen Unterricht seit Beginn des Confinement online. D.h. also sämtliche Internet Verbindungskapazitäten müssen sich auf meinem Rechner vereinen. Kein Verbraucher darf eingeschaltet sein. Zwei Tage vor dem Confinement streikte unsere Satellitenschüssel und wir stiegen kurzerhand auf InternetFernsehen um. Alles gut und schön. Aber jetzt rächt sich das Ganze, es ist wirklich Mist, dass wir nicht vor den Confinement noch eine Schüssel gekauft haben. So kann Sascha während meines Unterrichts kein Fernsehen schauen. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig als sich analog zu beschäftigen: kochen, aufräumen, Schallplatten zu hören oder unserer großen Leidenschaft zu frönen, der experimentellen Fotografie. Er mag es zwar nicht, wen ich ihn so nenne, aber Sascha ist der „KreativKopf“ unseres gemeinsamen LichtmalerUnternehmens „LightpainterMoselle“. Er testet und malt, er baut neue Werkzeuge und forscht nach neuen Effekten. Gestern hat er mich wieder mit einer neuen Kreation überrascht. Langeweile kommt bei uns im Confinement also nicht auf.


Spannend ist es auch die Post in Empfang zu nehmen. Gestern kamen wieder zwei Päckchen über den Grenzzaun zu uns herüber. Eine liebe Freundin, die sich in ihrer Freizeit ihrer ganz eigenen Fotokunst widmet, hat uns eine ihrer neuesten Kreationen zur Aufmunterung geschickt. Annes Fotos wurden in ihrer Kreativität zu Glückstropfen- sehr süß. Für unser leibliches Wohl- also ganz konkret für den Nachschub an Soßen, Gewürzen und meinen geliebten ZitronenKeksen- war nach dem Empfang des zweiten Paketes gesorgt. Die liebe Nicole hat ein Auge darauf, dass wir geschmacklich nicht „verkommen“. Wir freuen uns sehr über die CarePakete und möchten allen, die an uns denken „Danke!“ sagen. Die Kekse sind schon zur Hälfte gegessen und die Glückstropfen haben einen besonderen Platz gefunden- an unserem Zaun.


Bleibt gesund!


http://www.histopopart.de

http://www.eppers-gewuerze.de

Tag 50 der Ausgangssperre

Im Garten unserer Nachbarn Familie Steiner steht ein Kirschbaum. Jedes Mal wenn ich aus meiner Küche nach rechts schaue, sehe ich diesen wunderschönen Baum, der jedes Frühjahr in voller Blüte steht. Er ist schon alt, hat in unserem Quartier wahrscheinlich schon viel gesehen. Natürlich freut sich jeder der Nachbarn im Sommer auf die frischen Kirschen aus Familie Steiners Garten.


Überhaupt gibt es hier in den Gärten viel Gesundes. Weil nicht jeder alles hat oder anbauen kann, werden die Äpfel, die Birnen, die Mirabellen, die Quitten und natürlich die Pflaumen und noch viele andere leckere Sachen untereinander verteilt. Frau Maurer hat sogar Schlüssel zu ihrem riesigen Grundstück verteilt, damit jeder sich nehmen kann- soviel ind wann er gerade Lust dazu hat. Ihr Stück gleicht einer kleinen Obstplantage- Manuel, ihr verstorbener Mann, hatte eine Leidenschaft für diese Obstbäume. Er liebte es im Sommer im Schatten der Bäume die Vögel zu beobachten, er war immer sehr stolz, dass sogar ein Kauz dort gesiedelt hat. Der Kauz sitzt immer noch in den alten Obstbäumen. Ich höre ihn abends manchmal rufen.


Eine besondere Art der Entspannung findet sich jedoch in unserem Quartier ein, wenn das Obst in flüssige Form überführt wird. Auf Französisch heißt es dann „Eau de vie“- „Lebenswasser“, bei uns hier in Lothringen heißt es wie in Deutschland „Schnaps“. Da steht oder sitzt man abends zusammen, nach getaner Arbeit, unterhält sich über dies und das, tauscht den letzten Klatsch und Tratsch des Quartiers aus. Zum Abschluss gehört -seitdem wir hier wohnen- ein Glas Wein, am besten Pino Noir oder ein Elsässer, und ein Gläschen Schnaps- das flüssige Obst unseres Quartiers.Herr Steiner ist ein Meister der Brennerei. Seine Schnäpse sind legendär. Frau Steiner bemalt die Etiketten und vermerkt in feinster französischer Handschrift die Obstsorten auf den Flaschen. Alles pure Handarbeit. Fabriqué en France/ Sarreguemines/ Blauberg.


Der Kirschbaum hat seine Blüten in den letzten Tagen verloren, jetzt geht es in die heiße Phase, dem Beobachten und diskutieren wie die Kirschen wohl schmecken werden, wie der Schnaps wird und vor allem, wann wir ihn zusammen trinken, ohne Sicherheitsabstand und Mundmaske. Hier bei uns im Quartier, auf dem Blauberg in Sarreguemines en France.

Tag 49 der Ausgangssperre

Also noch bis mindestens 15. Mai sollen die Grenzen für die „NichtGrenzgänger“ geschlossen bleiben. Aber was nützen einem die pendleroffenen Grenzen, wenn die Leute nicht zur Arbeit gerufen werden. Also bleiben wir in unserem beschaulichen Sarreguemines. In Sarreguemines, genauer gesagt auf unserem Blauberg, dort wo die Straße vom Place des Fleurs in die Rue de la Foret abbiegt, liegt auf der linken Seite die Rue des Oeillets, die Nelkenstraße. Die Nelkenstraße ist eine ganz besondere Straße- wir nennen sie die „Phantomstraße“. An ihr stehen keine Häuser, kein Trottoir führt an ihr entlang. Madame Destin wohnt gegenüber der Einfahrt in die Rue des Oeillets, wenn sie aus dem Fenster schaut, dann sieht sie in eine eine große Wiese- die Rue des Oeillets. Auf den Stadtkarten, auch bei Google Maps ist die Rue des Oeillets eingezeichnet, doch sie existiert in der Realität nicht. Nur Gras- unsere Hunderennwiese.

 
Was so alles in Straßenkarten eingezeichnet ist… Ich sehe dort regelmäßig Madame Laporte und Monsieur Gaston mit ihren Hunden. Die zwei leben alleine, treffen sich regelmäßig zur Hunderunde und treffen dabei immer wieder auf mich und meinen schwarzen Rabauken. Mme Laporte sieht Bragis Gebell eher lässig, der nette Monsieur Gaston hat eher Angst um seinen kleinen Pinscher. Saschas scherzhafte Bemerkung, der wäre ein gutes Frühstück für unseren Schäfer trug gestern eher nicht zur Beruhigung der Situation bei. Monsieur Gaston nahm den Mini auf den Arm, als wir uns ihm näherten. Bragi fing schon mal aus sicherer Entfernung an zu stänkern und zeigte sein bestes „böses- Schäferhund“ Gesicht. Lisa, Gastons Pinscherdame beobachtet das Geschehen aus sicherer Entfernung und schaut mitleidsvoll oft Frage herab. Monsieur Gaston ist froh, als wir an ihm vorbei sind. Wir wünschen uns lachend einen schönen Tag. Dann geht es links auf die Rue des Primeveres, die es auch nur zur Hälfte gibt, und dann Richtung unseres Wasserturms. 


Unterwegs sehe ich Rudolphe, den Rockernachbarn bei Monsieur Schmidt am Haus stehen. Die beiden grüßen herüber- selbst jetzt bleibt Rudolphe bei seinem Rockergruß und ich bei dessen Erwiderung. Ich geh auf ein Wort zu Ihnen und Rudolphe erzählt, dass sein Fernseher gestern kaputt gegangen war und er nun ein Ersatzteil brauche. Und das von Monsieur Schmidt? Mir war nicht ganz klar… doch dann öffnete Monsieur Schmidt eine seiner Garagen. Alles voller Fernseher- alles voller alter Röhrenfernseher. Ich war fasziniert- wie in einer Zeitkapsel. Ein geheimes Röhrenfernseher und Zubehörlager in unserem Quartier. Rudolphe erzählte, dass sein neuer LCD- Fernseher das Zeitliche gesegnet hatte und er aus ner Not heraus- es gibt ja im Moment keine Möglichkeit einen neuen zu kaufen- seinen alten Röhrenfernseher wieder aktivieren möchte. Da kenne er sich mit der Technik noch gut aus und außerdem wäre in Röhrenfernseherzeiten auch die Rockmusik besser gewesen. Ich schmunzelte in mich hinein, als ich mit Bragi nach Hause lief. Alles ein bisschen aus der Zeit gefallen- in unserer Zeit des Confinements.


Bleibt gesund da draußen! Grüße vom Blauberg!

Tag 48 der Ausgangssperre

Wir wissen zwar nicht, was genau am 7. Mai in der Nationalversammlung beschlossen wird, aber gestern ist schon ein bisschen Information durchgesickert. Offiziell wurde die „crise sanitaire“, der Gesundheitsnotstand in Frankreich bis Juli verlängert. Es wird eine 14tägige Quarantäne geben, für alle, die nach Frankreich einreisen. Wie das im kleinen Grenzverkehr aussehen wird, ist noch völlig unklar. Auf Fragen zum Tourismus wurde bei einer Pressekonferenz nur sehr wage geantwortet. Eins ist sicher: wirklich locker wird es nicht werden- unser Departement Moselle im Grandest ist noch knallrot auf der offiziellen Klassifikationskarte des Gesundheitsministeriums. Der französische Staat bleibt hart und wir müssen und wollen mitziehen. Am Montag sollen die Schulen auf freiwilliger Basis wieder öffnen- gerade laufen Befragungen, wie viele Eltern das Angebot überhaupt annehmen wollen. Die Gruppen sollen nicht mehr wie 15 Kinder umfassen- Maskenpflicht soll es für die Kinder anscheinend nicht geben.

Für die Kiddies ist das Confinement ein echter Graus. Gestern hatte unser Nachbarsjunge Geburtstag. Er wurde 10. Seit nunmehr 47 Tagen sitzt er zuhause mit seinem kleinen Bruder, sein Quad hat er schon geschrottet, die Laune anbetrachts einer „KernfamilienGeburtstagsfeier“ im Keller. Julie und Eric haben ihm ein neues Fahrrad gekauft. Das war eine aufregende Sache. Paket Nummer 1 ging im ConfinementChaos vor drei Wochen „verloren“ , das zweite FahrradPaket beinhaltete nur den Rahmen und den Vorderreifen, das dritte Fahrrad kam letzte Woche Montag an und war eine Rahmengröße zu klein. Manchmal läuft es schlecht und dann kommt auch noch Pech dazu. Am Freitag kam nun endlich das richtige Fahrrad mit Vorder- und Hinterreifen, in der richtigen Größe und in wunderschönem Rot. Chic. Was Julie und Eric allerdings nicht wirklich im Blickfeld hatten, war die Tatsache, dass Loic durch das Confinement nur auf dem eigenen Grundstück fahren darf. Höchstens die Straße hoch und runter- dann ist Schluss. Es kam natürlich, wie es kommen musste. Loic stieg auf sein neues Fahrrad, fuhr die Einfahrt hoch und runter. Während wir am Zaun noch ein wenig erzählten, nutzte der Frechdachs die Gelegenheit und entwischte aus unserem Blickfeld. Naja, er ist ein richtiger Lausbub- aber ein lieber Junge. Aber heute hat er uns in Angst und Schrecken versetzt. Er war einfach verschwunden. Wir teilten uns auf, Julie und Eric Richtung Wasserturm, Sascha und ich Richtung Schule. Als wir uns der Schule näherten, sahen wir das Fahrrad auf der Wiese vorm Gebäude liegen, Loic saß unter einem der vielen Bäume vor der Schule. Er spielte mit einem Stock im Gras herum. „Mensch Loic, was machst du da?“ fragte ich ihn. „Wir suchen dich überall!“ Er schaute mich an und ich sah, dass er geweint hatte. „Bist du gefallen?“ „Nein!“ schluchzte er „Ich vermisse meine Freunde! Das ist der doofste Geburtstag, den ich je hatte!“ „Ach komm Loic, wir gehen nachhause und machen das Beste draus.“ Ich rief Julie an, und sagte, dass wir den kleinen Ausreißer gefunden hatten. Auf dem Weg zurück , die Straße runter, schob er das Fahrrad neben sich her. Vor einem blauen Haus blieb er stehen und zeigte auf ein Fenster in der obersten Etage. „Da wohnt Christophe, mein bester Freund. Den darf ich heute auch nicht sehen.“ Ich kenne Christophes Mutter- sie ist auch deutsch. Also klingelte ich kurzerhand und sprach kurz mit ihr über die Sprechanlage. Dann öffnete sich das Fenster in der oberen Etage und Christophe schaute zu uns herunter. Er winkte und rief „Salut Loic! Wie schön, dich zu sehen! Bon anniversaire! Wir feiern deinen Geburtstag nach! Wir sehen uns nächste Woche in der Schule!“ „Na klar, Christophe!“ Loics Gesicht hellte sich auf. Er lachte, setzte sich auf sein neues Fahrrad und radelte die letzten Meter nach Hause.

Wir waren froh, dass er wieder da war. Für uns gab’s dann noch ein Stück Kuchen über den Zaun. Geburtstag in CoronaZeiten- nicht nur für Kinder eine besondere Erfahrung.

Bleibt gesund! Passt auf euch auf!

Tag 47 der Ausgangssperre

Das Confinement und seine Kuriositäten. In den letzten Wochen haben sich verschiedene Sachen bei uns eingeschlichen, die wir gar nicht für möglich gehalten hätten. Julies Sohn hat gestern beim Anschnallen im Kindersitz, nicht mehr gewusst, wie er das machen muss. Er hat es schlichtweg in den ganzen Wochen des Confinements verlernt. Julie hat mir gestern am Zaun erzählt, dass sie ihr Auto seit Beginn des Confinements nicht mehr getankt hat. Da musste ich kurz nachdenken und mir fielein, dass es bei mir auch so ist. Von den Jogginghosen, die mittlerweile bei jedem hier Einzug in die Alltagskleidung gehalten haben, rede ich erst gar nicht. Karl Lagerfeld würde schimpfen, dass wir die Kontrolle über unser Leben verloren hätten.

Die ganze Situation ist schon wirklich seltsam. Richtig übel ist es für Leute, die auch noch Pech dazu haben. So wie meine Nachbarin Melody, ich hab schon über sie erzählt. Sie ist Engländerin und spricht kaum Französisch. Sie ist der Tochter wegen nach Sarreguemines gezogen, die absolviert gerade ein Auslandsjahr in England, und Melody sitzt hier. Jetzt ist auch noch das Auto kaputt gegangen. Letzte Woche hat sie mich gefragt, ob ich ihr aus dem Super U etwas mitbringen würde. ‚Kein Thema!‘ hab ich gesagt, ‚Schreib mir einfach eine lange Liste, ich bring dir mit was du möchtest‘. Melody hat dann einen Zettel geschrieben, mir Einkaufstaschen und Geld bereit gelegt. Ich fahre los. Im Super U angekommen, suche ich Melodys Sachen zusammen. Ich wundere mich, dass sie weder Joghurt, noch Quark, noch Käse oder Wurst aufgeschrieben hatte. Vielleicht lebte sie vegan? Das musste die Erklärung sein. MinzEis stand auf dem Zettel- typisch englisch. Ich dachte nicht weiter darüber nach, ging zur Kasse und machte mich auf den Heimweg. Ich schickte eine Nachricht, dass ich gleich da sein würde – sie erwartete mich an ihrem Fenster. Ich stellte die Sachen ab, sie bedankte sich und ich fuhr heim. Zu Hause angekommen räume ich meine Sachen weg, setze mich an den Tisch und nehme mir ein Gläschen Schokoladenpudding zur Belohnung- darf Melody die essen? Die Veganersache ging mir nicht aus dem Kopf. Als ich gerade den ersten Löffel nehmen wollte, kam eine WhatsApp Nachricht von Melody: ‚Hast du die zweite Seite gesehen? Also die zweite Seite des Einkaufszettels?‘ Oh mein Gott – sie war doch nicht die weltweit erste englische Veganerin….Ich war die schusseligste ‚Einkäufe-Mitbringerin’ im GrandEst…Ich hatte vergessen den Zettel um zu drehen. Ich griff in meine Jacke. Da war er, der Zettel. Und auf seiner Rückseite stand Joghurt, Quark Käse und Wurst. Oh mein Gott, ich hatte den Zettel einfach nicht umgedreht. 2 Minuten später stand ich wieder vor Melodys Tür. Sie stand da, lachte herzhaft und ich musste auch so lachen. Ich nahm die Taschen, die ich vorher nicht genutzt hatte und raste zu Super U. Wieder zurück, sagte sie: ‚Eben dachte ich noch, Nadine hat aber die vielen Sachen ordentlich verpackt. So können nur Deutsche verpacken, ich hatte vollsten Respekt vor dir!“ Und sie lachte und ich lachte. Sowas passiert auch nur im Confinement.

Gottseidank haben wir unseren guten Raphael in der Straße, der sich ihrem Auto direkt angenommen hat. Er hat einen Termin gemacht in einer nahe gelegenen Werkstatt, um das Berlingo prüfen zu lassen. Melody hat Angst, dass sie mit dem Auto stehen bleibt, ohne sich jemandem richtig mitteilen zu können. Sie hatte auch Angst zu dieser Werkstatt zu fahren. Die Peugeot- Werkstatt liegt im nächsten Ort, eigentlich ein Katzensprung. Ihr wie ich kennt sicher auch solche Situationen, in denen man Angst hat, dass das Auto gleich stehen bleibt und deswegen war es für mich selbstverständlich, dass ich zur Sicherheit hinter ihr her fuhr. Raphael erklärte uns den Weg, den Weg über die Schnellbahn. Ich wusste zuerst gar nicht was er meinte mit Schnellbahn, dann fiel mir die Schnellstraße ein. Als wir dann auf der Schnellstraße Richtung Autobahn waren, da bemerkte ich, dass diese Reise nach Woustviller die bisher Längste des Confinements für mich war. Sie kam mir vor als wäre sie eine Weltreise. Wir kamen gut an, die Teile wurden direkt bestellt, nächste Woche wird repariert. Melody wollte das Auto direkt in der Werkstatt lassen, aber das war nicht möglich. Wir mussten alsowieder zurück fahren. Sie voran und ich hinterher- eine Engländerin- eine Deutsche- in Frankreich im Confinement. Bleibt gesund und genießt das schöne Wetter!

Tag 45 der Ausgangssperre

Warum unser Quartier Blauberg heißt? Trotz langer Recherchen kann ich euch das nicht sagen. Der Name stammt wahrscheinlich aus der Zeit um 1870, als Sarreguemines noch Saargemünd hieß. Wir wohnen in einem Haus, das in etwa aus der gleichen Zeit stammt. Es ist alt und schön, voller Geschichte und Geschichten. Fast alle Häuser hier auf dem Berg tragen ihr Erbauungsjahr im Setzstein über der Eingangstür, sie sind alt, ehrwürdig und sehr sympathisch.- ganz deutsch- französisch. Manchen Häusern sieht man an, aus welcher Phase sie stammen- zwischen 1870-1918 deutsch oder 1918-1940 französisch, bis zum Ende des Krieges 1945 deutsch und dann wieder französisch.

Als wir nach Sarreguemines zogen, waren wir voller Zuversicht, hatten aber auch Angst vor Ressentiments gegenüber uns deutschen Neuankömmlingen. Ganz ehrlich- viele Leute hatten uns vor den sturen Lothringern und ihrer Deutschenfeindlichkeit gewarnt. Wir wurden von deutschen Bekannten als Steuerflüchtlinge beschimpft, unser Umzug sehr kritisch beäugt. An so manchem Tag im Sommer 2008 hatte ich morgens Angst, dass über Nacht ein Ei an unsere Fassade geworfen worden war. Nachdem der Einzug fertig war, nahm ich mir den Mut und mein bestes Französisch und sprach meine Nachbarin an, die gerade im Garten arbeitete. Sie war klein, ihr silbernes Haar trug sie zum Dutt. Ich stellte mich vor. Sie lächelte milde, als ich sie fragte, ob sie denn auch deutsch spreche. Sie antwortete mir , sie spreche immer deutsch. Außerdem würde sie auch nur deutsches Fernsehen schauen, weil bei den Franzosen immer Quatsch zu sehen wäre. Sie fragte mich, woher wir kommen, dass das Haus so schön wäre und sie sich über nette Nachbarschaft freute.
Wir sahen uns an den folgenden Tagen immer öfter und (zu dem Zeitpunkt rauchte ich noch) genossen unsere Zigaretten beim gemeinsamen Abendplausch. Sie sprach vom Aspirateur, den sie nicht mehr so gut führen konnte und wie froh sie war, dass ihr Enkel bei ihr lebte. Pierre war etwa in unserem Alter und kümmerte sich rührend um seine Großmutter. Eines Abends, ich saß auf unserer Treppe und Madame König saß nur etwa 4 Meter von mir auf ihrer kleinen Terrasse vor ihrer Haustür, da begann sie zu erzählen- von früher. Sie erzählte, dass sie nach dem Krieg- etwa 1946/47 mit ihrer Mutter in Saarbrücken zum Einkaufen war. Der Winter war hart und die „Königskinder“ brauchten warme Mäntel. Als sie die schwer bewachte Grenze zwischen Sarreguemines und Hanweiler passierten, wurden sie von französischen Grenzern angehalten und zwei Stunden warten gelassen, danach befragt, was sie denn genau gekauft hätten. Immer wieder stellte der französische Grenzer die Frage nach dem Warum… Warum sie in Saarbrücken und nicht in Frankreich eingekauft hätten. Frau Königs Mutter kam in große Bedrängnis- nach Jahren deutscher Besatzung war ihr Französisch schlecht und Frau König selbst hatte bis zum Ende des Krieges- sie war 8 Jahre alt- nur deutsch gelernt und gesprochen- die Repressalien waren hart. Schließlich durften sie gehen- mit dem Hinweis, dass sie jetzt Franzosen seien und dass sie in Zukunft in Frankreich einkaufen sollten. Frau König schmunzelte. Was der Zöllner bei der Durchsuchung übersehen hatte, war ein Buch in einer Seitentasche ihrer Mutter. Stolz stand sie auf, legte ihre Zigarette in den Aschenbecher verschwand kurz hinter ihrer Haustür. Nur eine Minute später war sie wieder da- ein zerfleddertes Buch in der Hand- die Struwwelliese. Das ist das Buch! Kennst du das? Ich habe es immer noch, als Erinnerung an meine Mutter und die schweren Zeiten nach dem Krieg mit all den Grenzen und Kontrollen, damit wir in unseren guten Zeiten nicht vergessen, wie es früher einmal hier war. Was wir Lothringer, wir Saargemünder erdulden mussten- von beiden Seiten. Das darf man nicht vergessen! Frau König hatte Tränen in den Augen. Sie nahm ihre Zigarette, die schon fast abgebrannt war und verabschiedete sich in die Nacht.

Frau König lebt nicht mehr, aber wenn ich die Struwwelliese in meinem Bücherregal stehen sehe, muss ich an sie denken. Heute mehr denn je- mitten im Confinement. Bleibt gesund und genießt den Maifeiertag!

Tag 44 der Ausgangssperre

🇨🇵 🇩🇪 Bei schönem Wetter fällt es mir besonders schwer bei der täglichen Hunderunde den 1 km Radius um unser Zuhause einzuhalten, darum ist nicht nur die Natur froh um den Regen da draußen. In unserem 1 KilometerBewegungsradius liegt, zwischen der Rue des Myosotis und der Rue de la Montagne das alte Hospital von Sarreguemines. Es thront über der Stadt mit all den Türmchen und Verzierungen wie ein verwunschenes Schloss, das längst in einen DornröschenSchlaf gefallen ist. Eines der schönsten Gebäude von Saargemünd.
Als wir hierher zogen, war es gerade „außer Betrieb“ gesetzt worden. Überall standen Kartons mit medizinischem Gerät, riesige Umzugswagen wurden gepackt, um die medizinische Ausrüstung zum neuen Krankenhaus Robert Pax zu bringen. Nach fast 140 Jahren hatte das alte Gebäude seinen Dienst erfüllt. Zunächst wurde es still um den beeindruckenden Jugendstilbau. Doch dann fassten die Eigentümer den Entschluss, das alte Krankenhaus weiter zu nutzen- zuerst fand eine Schulkantine ihren Platz darin, dann ein Service der Stadtverwaltung, der Hubschrauberlandeplatz wurde in Baugrundstücke umfunktioniert bis dann die Entscheidung fiel Wohneinheiten zu schaffen. Ich frage mich immer, wenn ich mit dem Hund dort vorbeigehe, wie es sich darin leben lässt. Hinter diesen dicken Mauern hat sich viel Leben ereignet, sind aber auch viele dramatische Sachen passiert- 1918 grassierte hier in Saargemünd die letzte Pandemie- die spanische Grippe. Der deutsche Schriftsteller Alfred Döblin war zu der Zeit hier Militärarzt. Das Krankenhaus war damals im Zentrum des Geschehens. Ich weiß nicht, ob ich darin Leben könnte- wahrscheinlich würde ich jede Nacht wach liegen.
Vor ein paar Jahren wollten wir mal „anders“ Silvester feiern. Wir waren wie so viele andere Saargeminner in der Neujahrsnacht zur alten Schlossruine über der Stadt gefahren, weil man von dort einen schönen Ausblick über Saargemünd hat. Kamera und Sekt in der Tasche, hatten wir frühzeitig einen guten Platz ergattert- vorne an der Mauer- schön deutsch- schon um 23.30 Uhr. Doch während wir warteten, zog der Nebel im Saartal herauf und nix war mehr mit unserer schönen Aussicht auf die Stadt mit dem tollen Feuerwerk. Wir warteten und warteten, doch die Sicht wurde immer schlechter, der Nebel immer dichter. Um 23.55 Uhr saßen wir wieder im Auto und wollten schnell nachhause, um dort gemeinsam auf das neue Jahr anzustoßen. Ich fuhr wie ein Henker, um rechtzeitig zuhause zu sein, aber dann kamen die 0 Uhr Nachrichten im Radio. Ich stoppte, wir wünschten uns noch im Auto ein frohes neues Jahr- da klopfte es an unser Autofenster. Ich habe mich noch nie so erschrocken. Da standen Julie und Erik, die Beiden wollten nur schnell von einer Party in der Stadt nachhause- sie hatten ihre Feuerwerkskörper zu hause vergessen. Sie hatten sich dabei aber -genauso wie wir- in der Zeit verschätzt und waren nun wie wir am alten, verlassenen Hospital gestrandet. Wir stiegen aus, wünschten uns ein „Bonne Année!“, ließen den Wagen stehen und schlenderten gemeinsam nachhause. Unterwegs trafen wir fast alle unsere Nachbarn auf der Straße, wir stießen zusammen an, verteilten unzählige Bises, die besonderen französischen Umarmungsküsse, und hatten eine der schönsten SilvesterStraßenParties meines Lebens.

Das Auto wollte ich am Neujahrstag abholen. Da stand gerade die Police bei meinem kleinen Flitzer vor dem alten Hospital und ich sah, dass ich im Halteverbot geparkt hatte. Mist, ein PV von 25€. Ich sprach die Polizisten an, wünschte ein Bonne annee und erklärte die Situation. Sie lachten und einer von ihnen nahm den PV von meiner Windschutzscheibe. Er meinte, das wären dann ja besondere Umstände gewesen und daher zu entschuldigen. Er lächelt bis heute, wenn er mich aus dem PoliceAuto heraus sieht- wie gestern wieder, mit Klara und Bragi- am alten Hospital.


Also passt gut auf wo ihr parkt 🙂 Bleibt gesund!

Tag 42 der Ausgangssperre

Und dann kommt diese Nachricht. Die Nachricht auf die wir jetzt schon einige Wochen warten. Eine Nachricht, über die wir uns sehr freuen. Unsere Nachbarin Louise ist auf dem Weg der Besserung. Zwischen all diesem CoronaWahnsinn, dem harten Confinement, der strengen Ausgangssperre -ein Lichtblick- und die Sicherheit, dass all diese Entbehrungen Sinn machen. Nach fast 4 Wochen künstlichen Koma am Beatmungsgerät , langsamem Aufwachen, kommt Luise nun endlich auf eine normale Station. Die lange Zeit mit COVID-19 wird sie ein Leben lang begleiten. Sie wird alles neu lernen müssen, sogar das Laufen. Stück für Stück wird sie zurückkommen ins Leben, zurückkommen in unsere Straße.

Als wir vorige Woche ein Auto der Stadtverwaltung in ihrer Einfahrt gesehen haben, fürchteten wir das Schlimmste. Wir wissen, dass nach dem Tod eines COVID-19 Patienten die Wohnungen desinfiziert und alle Sachen verbrannt werden. Wir bangten um Louise, ihr Bruder hatte wenig Hoffnung. Doch jetzt die Wende- es wird ein harter Weg zurück, aber sie ist zäh.

Als wir hierher gezogen sind, lebte Louises Mutter noch. Die alte Frau winkte mir oft aus dem Obergeschoss darüber, wenn ich an meinem Schreibtisch saß und arbeitete. Manchmal spät abends, wenn nur noch meine Schreibtischlampe bei uns brannte. Was ich erst spät erfahren habe, war die Tatsache, dass ich eine Leidenschaft mit dieser alten Frau teilte.. Sie liebte ihre Sprache, sie liebt ihr „Francique“. Sie war die erste, die ein Wörterbuch Französisch- Francique verfasste. Leider habe ich das zu spät erfahren- da war sie schon nicht mehr unter uns. Wir hätten uns sicher viel zu erzählen gehabt. Dieses Francique kann manchmal sehr lustig klingen, und in ihm werden auch manche Begriffe, die wir Deutsche kaum verwenden zu skurrilen Alltagsausdrücken geformt.

Er wohnt zwar nicht in unserer Straße, er wohnt auch nicht in unserem Quartier, aber trotzdem sehen wir ihn so oft an unserem Haus vorbeispazieren. Der skurrile CollieMann. Wir wissen nicht wie er heißt, wir kennen seinen silbernen Wagen, der behängt ist mit Wimpeln, beklebt mit CollieAufklebern.Es traf sich, dass wir gestern mit unseren Fellnasen vor der Haustür waren und der etwas verrückte CollieMann mitsamt Hunden vorbeischlenderte. Er blieb kurz stehen, erzählte zum hundertsten Mal, wo er den Rüden her hat . „Aus Deutschland!“, sagt er wieder ganz stolz. Er spricht oft sehr wirres Zeug. Ich verstehe nicht immer was er sagt, aber gestern musste ich mich schnell ins Haus flüchten, weil ich das Unheil nahen sah. Sascha hat den Ernst der Lage nicht ganz erfasst und blieb beim CollieMann stehen. Der nun, nahm die Schnauze seines Hundes in die Hand, zog den Armen nach oben über unseren Zaun und hielt so den ganzen Hund hoch. Der arme Collie wusste gar nicht wie ihm geschah und der CollieMann sagte zu Sascha: „Hot er ned kee scheenie Frotz? E scheenie eine Frotze hot er, odder?“ Sascha blieb wie angewurzelt stehen, die volle Wucht des Ausdrucks hatte ihn getroffen. Wahrscheinlich hoffte er, die Zeit müsse stehen bleiben, während er versuchte krampfhaft seine aus Lachen und Entsetzen zu unterdrücken. Aber der CollieMann sah ihn ganz ernst ihn an, ganz fragend nach dieser Fratze. Das Wort klang immer noch durch die Stille des Confinements. Sascha quetschte ein „Ja ja!“ heraus. Unser CollieMann war zufrieden und ging seiner Wege. Sascha war erlöst. Ich stand hinter dem Fenster und musste so lachen. Fratze habe ich in diesem Zusammenhang noch nie gehört. Und ich werde es in diesem Zusammenhang wohl auch nie wieder hören außer von Collie Mann. Louises Mutter hätte sich sicher für den Ausdruck interessiert. Er hätte sicher Einzug in ihr WörterBuch gehalten.

Also passt auf euch auf heute am mardi, dem da Nom menda un mache kenn schisse mit de Chose, die affichiert sin! Hallen eich dran.

Tag 41 der Ausgangssperre

Ihr kennt sie sicher, die ungewöhnlichen Begegnungen. Ein paar Häuser oberhalb von uns wohnt Monsieur Mueller. Er ist ein alter Mann- ich schätze ihn um die 80- und wohnt allein in einem kleinen Haus. Er schaute stets sehr mürrisch vor sich hin, grüßte kaum, sah mich im Vorbeigehen einfach nur an und ging weiter. Monsieur Mueller beobachtete mich aber auch immer aus seinem geöffneten Fenster, wenn ich mit dem Hund draußen war.

Er erinnert mich an meinen deutschen Großvater. Der war Bergmann und schaute immer ganz düster drein. Er hatte das Herz wohl am rechten Fleck, aber das hat man ihm nie angesehen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass er im Gesicht immer schwarze Linien hatte, von der langen Arbeit unter Tage. Und wenn ich Monsieur Mueller sehe, dann denke ich oft an Großvater Walter. Zu Hause habe ich Fotos sortiert – was soll man sonst machen im Confinement- und dabei ist mir ein Foto in die Hand gefallen, auf dem Walter einmal lacht- Ottweiler Sommer 1980- meine Cousine Sabine, Opa und ich.

Ich weiß nicht was mich geritten hat. Aber als ich irgendwann im vorigen Jahr mit dem Hund draußen war, da kam Monsieur Mueller gerade aus der Tür. Wir stießen fast zusammen. Er schaute auf Bragi und fragte mich, wie der Hund denn hieße. Ich war so verdattert, dass ich ihm nur antworten konnte: „Nein, er heißt Bragi!“. Dann fragte mich Monsieur Mueller unverhofft, ob Bragi beißen würde. Und ich weiß nicht, warum ich es gesagt habe, aber ich antwortete ihm: „Nur alte Männer, die böse drein schauen!“. Ich hielt die Luft an, aber das war der Wendepunkt in unserer Beziehung. Zum ersten Mal sah ich Monsieur Mueller Lachen. Er beugte sich zu Bragi herunter und streichelte ihn. Er wünschte mir einen schönen Tag, hob den Hut und ging die Straße runter. Ich stand da- total perplex und überrascht.

Meine Großmutter sagte immer: „Man täuscht sich in nichts mehr als in den Menschen!“. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich meine Meinung zu vielen Leuten schonmal ändern musste. Bei Monsieur Mueller war es auf jeden Fall eine positive Änderung. Ich weiß nicht, ob wir das sind, oder ob das eine typisch deutsche Verhaltensweise ist, zuerst mal kritisch jedem gegenüber zu sein. Frankreich hat uns da erzogen- dort wo wir kritisch waren, trafen wir oft offene freundliche Menschen. Genauso gab es aber auch umgekehrte Fälle- Menschen, denen wir gegenüber offen waren und die sich dann nicht als unsere Freunde entpuppten. Zu unserem Glück waren es nur wenige, bei denen sich die Wege wieder getrennt haben. Wenn man so im Confinement sitzt und darüber nachdenkt, dann freut man sich sehr über diejenigen, die es wirklich gut mit uns meinen, ehrlich zu uns sind und mit denen zusammen wir so gerne unsere Zeit verbringen. Es sind die einfachen Leute, die uns in unserem Quartier begegnen, die uns Freundlichkeit entgegenbringen und Freundschaft.

Durch das Fenster sehe ich Julies Auto, einen kleinen Peugeot deux-cent-six, vor ihrer Tür stehen. Vor ein paar Wochen war mein Auto kaputt. Ohne zu zögern drückte sie mir die Schlüssel ihres Autos in die Hand. Ich konnte es kaum fassen, sie vertraut mir ihr Auto an. Es war der erste Neuwagen ihres Lebens, sie brachte es nicht fertig ihn jemals zu verkaufen. Obwohl sie mittlerweile einen neuen Peugeot fährt, ist der 206 noch angemeldet bis die CT abläuft. Aber das spielt keine Rolle. Sie hat mir einen großen Freundschaftsdienst erwiesen, ohne von mir jemals danach gefragt worden zu sein. Das ist französisch, das ist unkompliziert, das ist Freundschaft. Wir denken an euch da draußen, an unsere Freunde- egal auf welcher Seite der Grenze. Bleibt gesund! Wir wünschen euch eine schöne Woche!