Woche 2 der Dekonfinementierung

Nachdem ich mich letzte Woche noch gewundert hatte, wo Verenas Paket hängen geblieben war, kam es dann doch am Samstag bei uns an. Wir haben uns sehr gefreut, der Nachschub an Zitronenkeksen ist gesichert. Nachdem wir an der Grenze waren und dort die Bilder der Barrikaden gemacht hatten, wurde tatsächlich in der Nacht von Freitag auf Samstag der Grenzübergang geräumt. Das führte zu vielen Irrungen und Wirrungen. Die Frage stellte sich immer wieder darf ich rüber? Muss ich hierbleiben? Was brauche ich um rüber zu fahren? Darf ich rüber um Zigaretten zu kaufen? Wartet drüben die deutsche Polizei auf mich wenn ich zu DM fahre? Leider gab es darauf nur eine einzige Antwort: man darf nur rüber, wenn man einen dringenden Grund hat. Kontrolliert wird die Grenze natürlich immer noch- stichprobenartig. Das ist eigentlich noch doofer als die festen, stationären Grenzkontrollen- immerhin kann die Grenzpolizei immer und überall auf den bösen Franzosen oder Deutschen warten, der unerlaubt, ohne wichtigen Grund die Grenze überquert. Wir wurden sogar schon zweimal auf unserer Seite kontrolliert- woher? Wohin? Wohnort? 100km? Es war alles im grünen Bereich. Erst später fiel uns auf, warum wir wahrscheinlich kontrolliert wurden: Auf unserem Auto hatte der nette Mann vom Zulassungsservice damals aus Versehen ein 67er und kein 57 Schild angebracht- so sind wir jetzt für die Gendarmerie potentielle 100-km- Luftlinien- Zonen-Verletzer.

Wir fahren also immer noch nicht rüber ins Saarland- und viele unserer Nachbarn werden das wohl auch nicht direkt tun, wenn die Grenzen wieder offen sein werden. Zu groß ist die Enttäuschung über die Art und Weise der Grenzschließung. Raphael, der normalerweise zu den bedachtesten in unserer Straße gehört ,sprach mich schon auf ‚diesen seltsamen Innenminister‘ an, der ‚seine Parolen aus dem Krieg hätte‘. Ehrlich gesagt, habe ich mich in diesem Moment wirklich geschämt. Seine Frau hat zustimmend genickt und ich stand da, etwas geschockt und habe mich echt schlecht gefühlt. Das Gespräch ging zum Glück dann in eine andere Richtung. Raphael ist auf der Suche nach einer guten Tierklinik in Deutschland- ich konnte ihm da weiterhelfen- aber seinem Hund hilft das im Moment nicht, er hat keinen triftigen Grund, um die Grenze zu passieren. So muss Odin noch mindestens drei Wochen warten, bis er drüben behandelt werden kann. Raphael hilft derweil anderen aus der Straße, wie beispielsweise unserer Engländerin und ihrem Auto. Die beiden sind so drollig, wenn sie mit Händen und Füßen miteinander reden. Meistens verstehen sie sich nicht und dann kommt eine WhatsApp von Melody zu mir, um zu fragen, ob sie Raphael richtig verstanden hat. Also rufe ich den guten Nachbarn an und frage nach- anschließend gebe ich Melody Rapport. Mein Gehirn ist desöfteren verwirrt, weil ich mit ihr Englisch, mit ihm Französisch oder deutsch rede. Wahrscheinlich hat die Sache mit dem Auto jetzt ein Ende, weil die Werkstatt nun endlich das richtige Teil ausgewechselt hat. Auch da war ich mit ihr vor Ort- und was passierte da vor meinen Augen und Ohren- ich konnte es kaum glauben- da sprach doch tatsächlich die nette junge Frau an der Kasse zwar gebrochenes, aber trotzdem Englisch mit Melody- sogar Small Talk versuchte sie und Melody wie ich standen sehr überrascht ihr gegenüber. Sehr nett, und sehr selten, dass man das hier bei uns erlebt. Der französische Fremdsprachenunterricht unterscheidet sich maßgeblich von dem deutschen Unterricht- gerade vor ein paar Monaten, hat mir ein französischer Abiturient gestanden, dass er trotz neun Jahren deutsch und 6 Jahren Englisch keinen richtigen Satz in beiden Sprachen bilden kann. Mal sehen, ob sich das ändert, wenn zukünftig beim französischen Brevet (Realschulabschluss) und beim Bac (Abitur) Englisch verpflichtend sein soll- es besteht keine Wahlmöglichkeit mehr für die Schüler- deutsch wird dann freiwillig und wird an Bedeutung verlieren, für die Grenzregion wird das ein herber Verlust, weil die Plattsprecher irgendwann französisiert sein werden und damit nicht nur ein Sprach- sondern auch ein kultureller Schatz verloren gehen wird.

Wer uns nicht verloren geht und das war die Nachricht der letzten Wochen ist die gute Louise. Am Dienstag war sie sogar in unserer Tageszeitung, dem Republicain lorrain als Wunder der CoronaKrise zu sehen. Da jeder in meinen Geschichten einen anderen Namen (bis auf uns und die Sternenkinder) bekommen hat, heißt Louise natürlich nicht Louise, sondern wie ihr im Bericht sehen könnt, Bernadette. Wir sind so froh, dass sie bald wieder da ist. An einem Schatz einer Freundin darf ich dieser Tage mitarbeiten. Ihre Masterarbeit zu einem sehr schwierigen Thema steht zur Korrektur an. Ich weiß wie nervig das sein kann und finde, sie schlägt sich so tapfer. Tapfer müssen die Bewohner des Departements Moselle auch sein. Es gibt in Sachen Corona leider wieder schlechte Neuigkeiten. Ein weiterer Nachbar ist gestorben und wie es der Zeitung zu entnehmen war, gibt es bei der Gendarmerie-Brigade Sarreguemines neue Infizierte. Der GrandEst ächzt immer noch unter der Last dieses Viruses. Die Öffnung der Parks steht mittlerweile wieder in den Sternen- wir hatten auf den 2. Juni gehofft. Die 100 km Luftlinie. Wir haben nun endlich mal den Automaten der Ferme Gladel aus Rouhling ausprobiert. Er steht in Lixing und bietet 24 Stunden, fast alles, was das Herz begehrt und alles bio. Wirklich ganz super! Danke Evelyn für diesen tollen Tipp.Ich habe im Moment den Eindruck, dass es regelrechte Wanderbewegungen ins Bitcherland gibt. Wir lieben die verträumte Umgebung ebenso wie viele andere hier. Dichte Tannenwälder, schroffe Felsen, versteckte Teiche- einfach toll. Wir fanden so einen Nachmittag im Wald- der vor unserer Haustür wimmelt von den Eichenprozessionsspinnern- von Bitsch zu verbringen. Also rein ins Auto mit Bragi und Klara. In der Nähe des Camp de Bitche fanden wir einen schönen Platz und spazierten los. Doch was dann passierte, werde ich so schnell nicht vergessen. Wir wurden angegriffen, von tausenden Stechmücken- nach dem Confinement waren die verständlicherweise besonders ausgehungert. Wir entschlossen uns zurück zum Auto zu rennen und ich hängte mir meinen Schal über den Kopf- aber die Mücken krabbelten darunter und so sitze ich jetzt hier am Schreibtisch mit etwa 100, auf den ganzen Körper verteilten Stichen. Julie hat mir zuhause sozusagen erste Hilfe geleistet- einen netten Apotheker zum Nachbarn, das ist echt super! Passt also auf euch auf, wenn ihr draußen unterwegs seid! Bleibt gesund!

Woche 1 der Dekonfinementierung

Ich möchte mich zuerst bei euch bedanken- für eure Kommentare, für eure Privatnachrichten, für eure Anrufe und Emails, nachdem ich am Sonntag den Confinement-Blog vom Blauberg beendet hatte. Es freut mich so sehr, dass es so viele Mitleser gibt- ob auch Facebook oder auch auf www.zaungeschichten.com. Ich hoffe ich kann euch mit meinen Wochengeschichten ebenso begeistern. 

Unser Blauberg macht nur einen kleinen Teil von Sarreguemines aus, aber die Leute hier oben, die unten in der Stadt, die drüben in Neunkirch-les-Sarreguemines, die in Welferding, die in Folpersviller und alle anderen, die einen Ausflug hierher machen, hier verweilen- sie alle formen diese Stadt. Sie spüren die ganz besondere Atmosphäre, wenn sie am alten kaiserlichen Landgericht- jetzt Lycee Sainte Chretienne- vorbeischlendern, wenn sie in der Fußgängerzone einen Kaffee schlürfen oder einfach über die Terrassen hinweg deutsch- französischem Geplapper lauschen. 
Der 1 km Radius ist aufgelöst. An seine Stelle traten ganze 100km. Doch seltsamerweise nutzt sie kaum jemand. Wir hier oben sind erleichtert wieder herumfahren zu können- aber unseren Alltag hat das kaum verändert. Vieles ist gleich geblieben- die Parks zu und die Wälder gesperrt. Die Parks, weil wir immer noch eine ausgelastete IntensivbettenSituation haben, die Wälder wegen der Plage der Eichenprozessionsspinner- langes Wort, großer Ärger. Wir als Hundefamilie haben uns schon darauf gefreut Bragi und Klara im Wald zu promenieren, aber diese Spinner hängen schon überall- einfach zu gefährlich. 

Ungewohnt ist es immer noch, keine deutschen Autos zu sehen- die Einreisereglementierung von französischer Seite scheint echte Wirkung zu zeigen. Was wir auch nicht sehen, ist ein Paket von Verena- es hängt im Niemandsland der französischen Post fest- schon ganze 12 Tage braucht es von Saarbrücken nach Saargemünd (15 km). Wir sind sogar schon zur Grenze gefahren und haben danach gesucht- es hätte ja auch da irgendwie hängen geblieben sein können. Aber leider nein. Was wir gefunden haben, waren Absperrungen auf der Brücke zwischen Sarreguemines und Hanweiler. Welch’ ein trauriges Bild für die deutsch- französische Freundschaft, sehr befremdlich das so zu sehen. Noch vier Wochen….
Ein anderes Paket aus Deutschlands hohem Norden hat uns dagegen erreicht: Sinas Überraschung aus Leckereien des Nordens hat uns sehr gefreut- der Sanddornlikör ist dem Deconfinement bereits zum Opfer gefallen 😉 Sehr fein 🙂 Vielen Dank dafür! 

Melodys Auto ist schon wieder kaputt, also geht es nächste Woche wieder in die Werkstatt- sie voraus und ich hinterher- falls was passiert. Am Dienstag ist sie mit dem ersten Gang von Cora zu uns nachhause, das sind stolze 4km- mehr geschlichen als gefahren.
Im Haus gegenüber, bei Louise herrscht reges Treiben. Sie kommt Ende nächster Woche wieder nachhause. Weil ihr dieses verdammte Virus so schlimm zugesetzt hat, braucht sie jetzt eine behindertengerechte Wohnung- alles muss umgebaut werden. Wenn ich diese ganzen irren Covid- Leugner sehe, könnte ich schreien. 

Sascha weiß jetzt auch, wie die Abholung bei der Ruche, der Bauerngenossenschaft-, läuft. Er war am Mittwoch sozusagen mein Milchträger. Beim Kauf unseres Berlingos fand sich im Kofferraum ein Citroen Einkaufswägelchen- hatten wir noch nie gesehen und bisher auch nur selten benutzt. Wir haben uns damit bei der RucheAbholung köstlich amüsiert, weil einige der mit uns wartenden Männer ganz neidisch auf unser original Citroen-Zubehör starrten- ganz aus Plastik, aber für Sammler begehrt. Nix gibt’s, das ist jetzt mittwochs mein Ruche-Wägelchen. 

Wir dürfen uns nach der neuen Regelung wieder mit bis zu 10 Leuten auf der Straße treffen- die Gelbwesten haben das natürlich als erste mitbekommen und haben ihre Hütte am Kreisel Rother Spitz wieder bezogen- die lothringer Fahne flattert im Wind und es riecht nach Demo- ganz französisch. Meine lieben Franzosen kramen also gerade wieder ihre Widerspenstigkeit heraus und denken an Themen wie Rente, Zigarrettenpreise und natürlich an Macron. Auf die Idee Corona zu leugnen und gegen die Maßnahmen im „deutschen Stil“ zu demonstrieren, sind sie noch nicht gekommen. Wahrscheinlich sind die Aluhüte bisher an der Grenze abgewiesen worden, zum Glück! 

Saschas Arbeitseinsatz für seine Firma beschränkte sich auf ein kurzes Intermezzo letzte Woche. Jetzt steht er wieder in seinen eigenen Diensten und freut sich, dass er Zeit zum Lichtmalen und ab nächster Woche Urlaub hat. Mal sehen, wie das alles so weiter geht. Bei mir ist Business as usual- Unterricht im Homeoffice.

Bleibt gesund!