Rollende Vögel und der Hasengott

Als wir vor vielen Jahren auf den Blauberg gezogen sind, hat uns unser Haus gleich verzaubert. Welches Zimmer das Meine werden sollte, war sofort klar. Die Gaube nach vorne heraus, direkt unterm Dach mit Blick auf unsere kleine Straße hatte es mir sofort angetan. Saschas Plattenzimmer grenzt an unser Wohnzimmer und ich arbeite direkt darüber mit Blick auf alles, was sich in der Rue der Camelias so tut. Mittlerweile steht in meiner Gaube ein grünes Sofa, das mein Arbeitszimmer zu meinem Schul-Zoom-Zimmer oder Facetime- Kontakt-nach- außen- Zimmer werden ließ. Gemütlich lässt es sich hier sitzen, lesen, schreiben und telefonieren. So war es auch letzte Woche, während des großen Regens.

Mein Fenster stand offen, ich saß auf dem Sofa und zoomte gerade mit einer meiner Cousinen, als von draußen Julie nach mir rief. Ich hatte sie früh morgens schon schreien gehört, aber ich dachte, Loic oder Theo hätten Unfug getrieben und maß ihrer lauten Stimme keine große Bedeutung zu. Ich musste sogar schmunzeln, weil die beiden Jungs zu richtigen Lausbuben im besten Sinn herangewachsen sind. „Nadine! Nadiiiiiiiine!“ Ihre Stimme klang jetzt anders und ich wunderte mich, dass sie bei strömendem Regen draußen war. Ich streckte meinen Kopf durch mein Gaubenfenster und sah Julie die Kapuze über den Kopf gezogen, in Gummistiefeln, völlig durchnässt in strömendem Regen vor dem Haus stehen. „Hast du unsere Hasen gesehen? Wir suchen sie schon den ganzen Morgen! Du hörst mich bestimmt schon die ganze Zeit rufen!“ Darum hatte sie also herumgeschrieen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. „Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt? Wir hätten dir suchen helfen können!“ „Ich hab überall gesucht und der kleine, der ängstliche Schoko ist nicht zu finden! Es ist wie letztes Jahr! Weißt du noch während des Confinements? Nur dieses Mal hat Loic das Hasengatter aufstehen lassen! Lapidou, der große Hase ist wieder da, aber Schokooooooooo ist unauffindbar!“ „Ich komme sofort runter! Sascha ist zuhause und kann auch suchen helfen. Vielleicht sitzt er bei uns hinter dem Haus!“ „Ja, das wäre super! Aber ihr müsst euch zuerst noch um euren Vogel kümmern!“ Unseren Vogel? Schoss es mir durch den Kopf. „Wir haben keinen Vogel, Julie!“ „Doch, auf eurer Treppe sitzt ein kleiner Vogel!“ Als hätte ich es geahnt, zwei Tage vorher hatte ich mich mit Sascha noch unterhalten, was wir machen würden, wenn einer der kleinen Mauersegler, die unter unserem Hausdach nisten aus dem Nest fallen würde. Das Gespräch mit meiner Cousine musste ich jäh abbrechen und rannte die Treppe hinunter, um den kleinen Nestling vor den Fängen der Nachbarskatzen zu retten. Als Sascha und ich dann auf unserer Treppe standen, da saß da völlig durchnässt und hilflos wirklich ein kleiner Mauersegler. Ihr müsst wissen, ich hab Angst vor kleinen Tieren und so war Sascha sein Retter in größter Not. Schnell eine alte Kiste und ein Handtuch- Sascha setzte den Kleinen behutsam in die Notbehausung und nahm ihn mit herein, während Julie und die Kinder weiter den verlorenen Hasen suchten. Was tun? Da war guter Rat teuer. Auf Facebook in einer entsprechenden Gruppe um Hilfe gefragt und direkt erhalten. Es war zu spät den Kleinen noch in die Wildvogelauffangstation zu bringen, aber am nächsten Morgen um Acht stand die Kiste mit dem kleinen Mauersegler, in der er sich es schon ganz gemütlich gemacht hatte, auf dem Tisch der Wildvogelauffangstation in Püttlingen. Eine deutsch- französische Rettungsaktion war gelungen, der Mauersegler wieder in Sicherheit. Mission geglückt.

Zurück in unserer Straße, war ich verwundert, was am Place des Fleurs geparkt war: eine ganze Reihe Elektroroller war anscheinend in der Stadt verteilt aufgestellt worden. Auf ihnen steht der Name der Verleihfirma „Bird“, zu deutsch Vogel. Ich musste schmunzeln und an den kleinen Mauersegler denken. Noch mehr musste ich allerdings schmunzeln, als ich mir vorstellte, wie Sascha und ich sicherlich in nächster Zeit die rollenden Vögel ausprobieren und uns zur Lachnummer der Straße machen würden. Wieder die zwei verrückten Deutschen, da vorne. Ich stieg aus meinem Auto und kaum hatte ich die Tür zugeschlagen, kam Theo auf mich zu. „Nadine, Nadine!“ Ich dachte gerade schon darüber nach, wie ich ihn über den Hasenverlust trösten könnte, da schoss es schon aus ihm heraus: „Er ist wieder da! Schoko ist wieder da! Ich hatte solche Angst, dass er nicht mehr kommt und konnte nicht schlafen. Da bin ich zu Loic hinüber in sein Zimmer geschlüpft und wir haben beide zum Hasengott gebetet, dass er Schoko zurückbringt. Jetzt ist er wieder da!“ Das Kinderlachen schallte über den Berg und auch ich war dankbar, dass der Hasengott einsichtig gewesen war. Abends sah ich zu Julie, Eric und den Kindern hinüber, als Loic gerade die Hasen fütterte. Er prüfte gefühlte 100mal, ob das Gatter wirklich geschlossen war und ging dann zufrieden zum Abendbrot. 

Ich sitze jetzt wieder in meiner Gaube und wähle die Nummer meiner Kusine. Sie lacht ins Telefon, als ich ihr die tierische Geschichte vom MauerseglerNestling und Schoko erzähle. „Siehst du,“ sagt sie, „das ist wirkliche deutsch-französische Zusammenarbeit!“ Draußen höre ich die Jungs toben und die Mauersegler pfeifen- wieder alles im Lot auf dem Blauberg. Bleibt gesund da draußen und denkt dran, der Piks tut nicht weh!

J-0 Le ReConfinement/ Die Ausgangssperre

Nun ist er da, der Jour 0 – seit 0 Uhr sind wir wieder confinemiert, oder wie eine liebe Freundin gesagt hat: eingeigelt. Bragi hat mich heute Morgen auf der allmorgendlichen Runde schon ganz komisch angeschaut, als ich an einer Stelle, an der wir normalerweise weiter geradeaus gehen, wieder umgekehrt bin. Egal, ob der Regen herunterprasselt, zwanzig Minuten Parc Municipal habe ich mir gegönnt. Das ist ein großer Unterschied zum ersten Confinement vom Frühjahr- die Parks sind offen und die Wälder dürfen betreten werden, sofern du einen Parc oder den Wald in deinem Radius von einem Kilometer um dein Haus hast. Wir sind hier oben mit dem wunderschönen saargemünder Stadtpark, dem Parc Municipal- gesegnet. Er gehört in „normalen“ Zeiten schon zu unseren Lieblingsplätzen in der Stadt- jetzt freue ich mich, dass ich zumindest 20 Minuten dort am Tag verbringen kann. Es hat fast was von Eishockey- also von der Zeiteinteilung in Drittel- 20 Minuten hinlaufen- 20 Minuten flanieren zwischen Esel, Schafen, Pfau und Lama- und dann schnell wieder den Berg hoch -20 Minuten bis zur Spitze des Blaubergs. Und dann hoffen, dass die Police dich nicht erwischt, wenn du deine Zeit draußen um 5 Minuten überziehst, weil du nicht schnell genug den Berg hochkommst- das kostet dann mal gleich 135€. So ist das im Confinement. Ich hab es geschafft heute Morgen, alles hat gepasst. Nach 58 Minuten war ich wieder zuhause und wie wenn sie es gewusst hätten, fuhr der Wagen der Police Nationale just in dem Moment an mir vorbei, als ich meine Zauntür hinter mir schloss.  Sie nickten herüber und lächelten. Beide Polizisten lächelten. Mir wurde klar, dass es kein Gegeneinander von Polizei und Bürger gibt. Die Polizei hilft uns, uns zu schützen vor Corona und Covid- auch durch die Strafen für diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, die sie vorsätzlich brechen. 1500€ ist viel Geld für dreimal keine Maske anziehen und dabei erwischt werden. 

Sie werden noch lange kontrollieren, Patrouille fahren und Strafzettel verteilen. Der französische Staat zeigt Präsenz. Das ist angesichts eines unsichtbaren Gegners wie dem CoronaVirus irgendwie beruhigend. Premierminister Castex und unser „Minister für Gesundheit und Solidarität“ haben die Maßnahmen gestern Abend eingehend erläutert- jedem sollte klar sein, was die Stunde geschlagen hat. Für uns Deutsche wirkt die Härte der französischen staatlichen Maßnahmen zuerst irritierend. Aber seit dem Confinement im März und den Zahlen der letzten Wochen, versteht man die Maßnehmen, die jetzt ergriffen werden als aktiven Beweis der Verantwortung des französischen Staates für seine Bürger- auch für uns. Das tut gut.

Bilder des Parc municipal, findet ihr unter meinen Ausflugstipps auf www.zaungeschichten.com für die Zeit nach Corona:-) Bleibt gesund! 

Le Jour-1

Wenn in Frankreich etwas Besonderes bevorsteht wie der Schulanfang oder Weihnachten, dann bringen die Franzosen ihre Freude über das kommende Ereignis mit einem Countdown zum Ausdruck. „Jour -1“ bedeutet: noch ein Tag bis zum großen Ereignis. Heute ist wieder mal so ein J-1. Doch diesmal steht der J-1 nicht im Zentrum von Vorfreude, heute ist der Tag vor unserer Reconfinementierung. Seit gestern Abend ist klar, dass der J-1 wieder bedeutet Abschied nehmen zu müssen von Freiheiten, die uns im Juni wieder geschenkt worden waren. Ab morgen gelten wieder Attestationen, verschärfte Ausgangsregeln- genauere Details liefert uns wahrscheinlich eine Pressekonferenz, die unser Premierminister Castex- unser bewährter Philippe wurde zwischenzeitlich durch Macron ausgetauscht- heute Mittag hält.Wenn eine Rede an die Nation angesetzt wird, dann wissen wir alle, was die Uhr geschlagen hat. Und spätestens nach den fast schon zeremoniellen Schlussworten „Vive la Republique! Vive la France!“, herrscht in CoronaZeiten ein paar Sekunden betretenes Schweigen und man hört fast durch die Häuserwände das tiefe Durchatmen unserer Nachbarn. Genauso war es gestern Abend. Nur hat unser Präsident den beiden Schlusssätzen mit geballter Faust und festem Blick einen anderen vorangestellt: „Nous sommes la France!“ Er hat nicht wieder dem Virus wie im Frühjahr rhetorisch „den Krieg“ erklärt, sondern an das appelliert, was Frankreich ausmacht, was unseren Blauberg und Sarreguemines ausmacht: den Zusammenhalt. Wir werden es auch dieses Mal zusammen mit Abstand schaffen, den Ausbruch des Virus einzudämmen. Wie lange wir brauchen, das steht in den Sternen- aber wir werden sie wieder leben, die französische Solidarität. Nous sommes la France! Die Zaungeschichten gehen weiter, morgen am J-0 des zweiten Confinements. Bleibt gesund wo immer ihr seid. Restez en bonne santé!

Tag 54/55 der Ausgangssperre

Der letzte Tag.. noch 16 Stunden

Als mich vor ein paar Jahren ein Schüler fragte: „Frau Becker, wo wohnen sie eigentlich?“ Da erzählte ich ihm die Geschichte eines vergessenen Landes. Vom alten, weisen Kaiser Karl, der über ganz Europa herrschte und seinem Sohn Ludwig ein riesiges Reich hinterließ. Der vermochte es das Reich mit Güte zu regieren. Doch dann starb auch Ludwig- sein ältester Sohn Lothar sollte neuer Kaiser werden, doch damit waren die anderen beiden Söhne nicht einverstanden. Sie zankten sich unaufhörlich. In Verdun kam es zu einem Treffen, bei dem sie sich wieder vertragen sollten, aber es kam anders. Es kam zur Aufteilung des Reiches in das Frankenreich im Westen, das Heilige römische Reich im Osten und in der Mitte das Reich Lothars. Lothar wollte so immer schlichten können, wenn sich seine Brüder stritten. Die drei Teile waren ungefähr gleich groß, aber die beiden Brüder Lothars waren nicht zufrieden. Sie waren eifersüchtig und neidisch auf Lothar und so kam es, dass Krieg begann. Die Brüder entfremdeten sich völlig, sie wurden gar zu Feinden und es ging immer nur um Macht, die Königswürde, den Kaiser und immer auch um Lothars Land mit Kohle und Erz. Lothars Land war schwach geworden durch die vielen Kriege, Lothar längst vergessen. Frieden hatte keine Chance- so vererbte sich die Feindschaft zwischen den Ländern, der einstigen Brüder von Generation zu Generation. Es dauerte über 1000 Jahre bis endlich Frieden war zwischen den beiden Brüdern. Dauerhafter, guter Frieden. Aber manchmal gibt es heute noch Sticheleien zwischen den Ländern, der alten Brüder, Deutschland und Frankreich. Aber heute keiner denkt mehr daran Kriege zu führen- mitten in Europa. Und wo ich wohne, fragst du? Ich wohne im übrig gebliebenen Teil von Lothars Reich, in Lothringen- dort, wo so viele Kriege stattfanden, dort, wo so viele Menschen immer wieder ihre Heimat verloren. Mittlerweile gibt es keine Region mehr, die Lothringen heißt- wir sind alle GrandEst geworden. Nur wenige erinnern sich an das Lothringen von früher- aber die tapferen Menschen, die hier wohnen kennen ihre Geschichte und sie bleiben Lothringer- für immer. Und egal, ob wir Deutsche oder Franzosen sind, wir müssen uns gemeinsam immer wieder daran erinnern, dass wir alle eine europäische Familie sind, alle Kinder des großen Kaisers Karl.

Unser Confinement endet in 16 Stunden. Der Countdown läuft. Unsere ausgedruckten Attestationen verlieren heute Nacht ihren Sinn und wir werden wieder ein Stückchen freier. Vielen Dank, dass ihr all die Tage mitgelesen habt! Danke für die lieben Kommentare und die vielen aufmunternden Worte. Sie haben uns manchmal getragen durch diese sehr intensive Zeit. Mein Blog aus dem Confinement in Frankreich endet hier. Aber die Zaungeschichten gehen weiter- wenn ihr wollt. Mein Leben verlief immer irgendwie am Zaun, am Bretterzaun des Nachbarn, an der Grenze zu Deutschland oder am BlaubergZaun, von dem ich euch all die Tage berichtet habe. Und wenn ihr- während ihr wieder zu Cora oder wie sie alle heißen fahrt- mal kurz an Lothar und die Menschen hier denkt, dann würd’s mich freuen. Also haltet mir den europäischen Gedanken in Ehre- er sichert uns den Frieden.

Wenn Ihr Interesse an der gedruckten Form einer Auswahl der Geschichten habt, dann schreibt es in die Kommentare oder per PN an mich.

Bleibt gesund! Bis demnächst am Zaun!

Tag 52 der Ausgangssperre

Einmal mehr ist Geduld gefragt. Jeden Abend um 20:00 Uhr hupt jemand in einer Nebenstraße von uns. Wir wissen nicht wer das ist, wir wissen nicht, wo er parkt und wir wissen nicht für wen er hupt. Gestern Abend holte er Julie, Eric, Sascha und mich durch sein Gehupe aus der Diskussion über die Pressekonferenz von Premierminister Phillipe. Er und verschiedene seiner Regierungskollegen haben den Beginn der Entkonfinementierung am 11. Mai, am kommenden Montag, verkündet. Nach so vielen Tagen der Abschottung hatten wir sehnsüchtig darauf gewartet. Nach der Konferenz trafen wir uns anschließend alle am Zaun. 

Nicht nur Sascha und ich haben mehr Lockerungen erwartet, freuten uns schon mit unseren Hunden wieder durch die Parks in Sarreguemines oder den nahen Wald zu schlendern. Eric und Julie sind auch etwas enttäuscht- die Parks und Gärten bleiben wahrscheinlich noch bis 2. Juni geschlossen, der Zugang zu den Seen der Umgebung bleibt uns bis auf weiteren Erlass verwehrt. Der Grund ist die Klassifikation „rot“ auf der Frankreichkarte des französischen Gesundheitsministers. Der große Osten Frankreichs ist knallrot, d.h. das Confinement wird bei uns länger dauern als in anderen Regionen- in Paris ,in der Region Ile de France, sieht es ähnlich aus und im ÜberseeDepartement Mayotte. Die Zirkulation des Virus ist zwar geringer geworden, aber sie ist immer noch da. Die Intensivstation und sind immer noch ausgelastet. Die französische Regierung hat entschieden, dass wir langsam machen müssen. Immerhin- unsere Bewegungsfreiheit erhöht sich ohne Attestation- Ausgangsschein- auf 100 km innerhalb des Departements -„Luftlinie“- auf Französisch heißt es VogelFluglinie „vol d’oiseau“.

Irgendwie kommt es in CoronaZeiten oft anders, als man denkt. Schade, ein Leben nach Corona lässt also in der Region GrandEst noch auf sich warten. Die französische Grenze bleibt geschlossen bis zumindest 15. Juni, bis zum Erlass einer neuen Verordnung. Da die deutsche Regierung die Grenze auch nicht öffnet, bleibt es also beim Status Quo. Immer noch keine Pflanzen aus dem Gartencenter auf der anderen Seite der Grenze. Ich bleibe wohl auch weiterhin der „Hundefutter-Dealer“ der Straße- so nennt mich zumindest Melody scherzhaft. Nur die Grenzgänger dürfen die Grenze überschreiten, zum Zwecke der Arbeit. Das ist auch das Einzige, bei dem sich heute wirklich etwas für Sascha und mich geändert hat. Wir leben jetzt seit über 50 Tagen im Confinement- wir haben uns arrangiert, ehrlich- wir haben es genossen zusammen zu sein. Und dann kam der Anruf, dass Sascha wieder zur Arbeit muss. Wir waren hin und hergerissen zwischen „Juhuu, es geht wieder los!“ und „Ach, schade, die Ruhe ist vorbei!“.

Ich nehme an, dass die Huperei in der anderen Straße auch mit der Arbeit desjenigen zu tun hat, dem sie gilt. Vielleicht wird er zur Nachtschicht abgeholt? Den Dreien geht es wahrscheinlich ähnlich- dem, der abends hupt, derjenige der abgeholt wird und Sascha, der heute früh wieder zur Arbeit gefahren ist- alle müssen wieder zurück in den Trott. Meine Arbeit begann heute wieder früh um sieben, an meinem Computer, mit dieser Geschichte aus dem Confinement in Frankreich.

Tag 49 der Ausgangssperre

Also noch bis mindestens 15. Mai sollen die Grenzen für die „NichtGrenzgänger“ geschlossen bleiben. Aber was nützen einem die pendleroffenen Grenzen, wenn die Leute nicht zur Arbeit gerufen werden. Also bleiben wir in unserem beschaulichen Sarreguemines. In Sarreguemines, genauer gesagt auf unserem Blauberg, dort wo die Straße vom Place des Fleurs in die Rue de la Foret abbiegt, liegt auf der linken Seite die Rue des Oeillets, die Nelkenstraße. Die Nelkenstraße ist eine ganz besondere Straße- wir nennen sie die „Phantomstraße“. An ihr stehen keine Häuser, kein Trottoir führt an ihr entlang. Madame Destin wohnt gegenüber der Einfahrt in die Rue des Oeillets, wenn sie aus dem Fenster schaut, dann sieht sie in eine eine große Wiese- die Rue des Oeillets. Auf den Stadtkarten, auch bei Google Maps ist die Rue des Oeillets eingezeichnet, doch sie existiert in der Realität nicht. Nur Gras- unsere Hunderennwiese.

 
Was so alles in Straßenkarten eingezeichnet ist… Ich sehe dort regelmäßig Madame Laporte und Monsieur Gaston mit ihren Hunden. Die zwei leben alleine, treffen sich regelmäßig zur Hunderunde und treffen dabei immer wieder auf mich und meinen schwarzen Rabauken. Mme Laporte sieht Bragis Gebell eher lässig, der nette Monsieur Gaston hat eher Angst um seinen kleinen Pinscher. Saschas scherzhafte Bemerkung, der wäre ein gutes Frühstück für unseren Schäfer trug gestern eher nicht zur Beruhigung der Situation bei. Monsieur Gaston nahm den Mini auf den Arm, als wir uns ihm näherten. Bragi fing schon mal aus sicherer Entfernung an zu stänkern und zeigte sein bestes „böses- Schäferhund“ Gesicht. Lisa, Gastons Pinscherdame beobachtet das Geschehen aus sicherer Entfernung und schaut mitleidsvoll oft Frage herab. Monsieur Gaston ist froh, als wir an ihm vorbei sind. Wir wünschen uns lachend einen schönen Tag. Dann geht es links auf die Rue des Primeveres, die es auch nur zur Hälfte gibt, und dann Richtung unseres Wasserturms. 


Unterwegs sehe ich Rudolphe, den Rockernachbarn bei Monsieur Schmidt am Haus stehen. Die beiden grüßen herüber- selbst jetzt bleibt Rudolphe bei seinem Rockergruß und ich bei dessen Erwiderung. Ich geh auf ein Wort zu Ihnen und Rudolphe erzählt, dass sein Fernseher gestern kaputt gegangen war und er nun ein Ersatzteil brauche. Und das von Monsieur Schmidt? Mir war nicht ganz klar… doch dann öffnete Monsieur Schmidt eine seiner Garagen. Alles voller Fernseher- alles voller alter Röhrenfernseher. Ich war fasziniert- wie in einer Zeitkapsel. Ein geheimes Röhrenfernseher und Zubehörlager in unserem Quartier. Rudolphe erzählte, dass sein neuer LCD- Fernseher das Zeitliche gesegnet hatte und er aus ner Not heraus- es gibt ja im Moment keine Möglichkeit einen neuen zu kaufen- seinen alten Röhrenfernseher wieder aktivieren möchte. Da kenne er sich mit der Technik noch gut aus und außerdem wäre in Röhrenfernseherzeiten auch die Rockmusik besser gewesen. Ich schmunzelte in mich hinein, als ich mit Bragi nach Hause lief. Alles ein bisschen aus der Zeit gefallen- in unserer Zeit des Confinements.


Bleibt gesund da draußen! Grüße vom Blauberg!

Tag 47 der Ausgangssperre

Das Confinement und seine Kuriositäten. In den letzten Wochen haben sich verschiedene Sachen bei uns eingeschlichen, die wir gar nicht für möglich gehalten hätten. Julies Sohn hat gestern beim Anschnallen im Kindersitz, nicht mehr gewusst, wie er das machen muss. Er hat es schlichtweg in den ganzen Wochen des Confinements verlernt. Julie hat mir gestern am Zaun erzählt, dass sie ihr Auto seit Beginn des Confinements nicht mehr getankt hat. Da musste ich kurz nachdenken und mir fielein, dass es bei mir auch so ist. Von den Jogginghosen, die mittlerweile bei jedem hier Einzug in die Alltagskleidung gehalten haben, rede ich erst gar nicht. Karl Lagerfeld würde schimpfen, dass wir die Kontrolle über unser Leben verloren hätten.

Die ganze Situation ist schon wirklich seltsam. Richtig übel ist es für Leute, die auch noch Pech dazu haben. So wie meine Nachbarin Melody, ich hab schon über sie erzählt. Sie ist Engländerin und spricht kaum Französisch. Sie ist der Tochter wegen nach Sarreguemines gezogen, die absolviert gerade ein Auslandsjahr in England, und Melody sitzt hier. Jetzt ist auch noch das Auto kaputt gegangen. Letzte Woche hat sie mich gefragt, ob ich ihr aus dem Super U etwas mitbringen würde. ‚Kein Thema!‘ hab ich gesagt, ‚Schreib mir einfach eine lange Liste, ich bring dir mit was du möchtest‘. Melody hat dann einen Zettel geschrieben, mir Einkaufstaschen und Geld bereit gelegt. Ich fahre los. Im Super U angekommen, suche ich Melodys Sachen zusammen. Ich wundere mich, dass sie weder Joghurt, noch Quark, noch Käse oder Wurst aufgeschrieben hatte. Vielleicht lebte sie vegan? Das musste die Erklärung sein. MinzEis stand auf dem Zettel- typisch englisch. Ich dachte nicht weiter darüber nach, ging zur Kasse und machte mich auf den Heimweg. Ich schickte eine Nachricht, dass ich gleich da sein würde – sie erwartete mich an ihrem Fenster. Ich stellte die Sachen ab, sie bedankte sich und ich fuhr heim. Zu Hause angekommen räume ich meine Sachen weg, setze mich an den Tisch und nehme mir ein Gläschen Schokoladenpudding zur Belohnung- darf Melody die essen? Die Veganersache ging mir nicht aus dem Kopf. Als ich gerade den ersten Löffel nehmen wollte, kam eine WhatsApp Nachricht von Melody: ‚Hast du die zweite Seite gesehen? Also die zweite Seite des Einkaufszettels?‘ Oh mein Gott – sie war doch nicht die weltweit erste englische Veganerin….Ich war die schusseligste ‚Einkäufe-Mitbringerin’ im GrandEst…Ich hatte vergessen den Zettel um zu drehen. Ich griff in meine Jacke. Da war er, der Zettel. Und auf seiner Rückseite stand Joghurt, Quark Käse und Wurst. Oh mein Gott, ich hatte den Zettel einfach nicht umgedreht. 2 Minuten später stand ich wieder vor Melodys Tür. Sie stand da, lachte herzhaft und ich musste auch so lachen. Ich nahm die Taschen, die ich vorher nicht genutzt hatte und raste zu Super U. Wieder zurück, sagte sie: ‚Eben dachte ich noch, Nadine hat aber die vielen Sachen ordentlich verpackt. So können nur Deutsche verpacken, ich hatte vollsten Respekt vor dir!“ Und sie lachte und ich lachte. Sowas passiert auch nur im Confinement.

Gottseidank haben wir unseren guten Raphael in der Straße, der sich ihrem Auto direkt angenommen hat. Er hat einen Termin gemacht in einer nahe gelegenen Werkstatt, um das Berlingo prüfen zu lassen. Melody hat Angst, dass sie mit dem Auto stehen bleibt, ohne sich jemandem richtig mitteilen zu können. Sie hatte auch Angst zu dieser Werkstatt zu fahren. Die Peugeot- Werkstatt liegt im nächsten Ort, eigentlich ein Katzensprung. Ihr wie ich kennt sicher auch solche Situationen, in denen man Angst hat, dass das Auto gleich stehen bleibt und deswegen war es für mich selbstverständlich, dass ich zur Sicherheit hinter ihr her fuhr. Raphael erklärte uns den Weg, den Weg über die Schnellbahn. Ich wusste zuerst gar nicht was er meinte mit Schnellbahn, dann fiel mir die Schnellstraße ein. Als wir dann auf der Schnellstraße Richtung Autobahn waren, da bemerkte ich, dass diese Reise nach Woustviller die bisher Längste des Confinements für mich war. Sie kam mir vor als wäre sie eine Weltreise. Wir kamen gut an, die Teile wurden direkt bestellt, nächste Woche wird repariert. Melody wollte das Auto direkt in der Werkstatt lassen, aber das war nicht möglich. Wir mussten alsowieder zurück fahren. Sie voran und ich hinterher- eine Engländerin- eine Deutsche- in Frankreich im Confinement. Bleibt gesund und genießt das schöne Wetter!

Tag 45 der Ausgangssperre

Warum unser Quartier Blauberg heißt? Trotz langer Recherchen kann ich euch das nicht sagen. Der Name stammt wahrscheinlich aus der Zeit um 1870, als Sarreguemines noch Saargemünd hieß. Wir wohnen in einem Haus, das in etwa aus der gleichen Zeit stammt. Es ist alt und schön, voller Geschichte und Geschichten. Fast alle Häuser hier auf dem Berg tragen ihr Erbauungsjahr im Setzstein über der Eingangstür, sie sind alt, ehrwürdig und sehr sympathisch.- ganz deutsch- französisch. Manchen Häusern sieht man an, aus welcher Phase sie stammen- zwischen 1870-1918 deutsch oder 1918-1940 französisch, bis zum Ende des Krieges 1945 deutsch und dann wieder französisch.

Als wir nach Sarreguemines zogen, waren wir voller Zuversicht, hatten aber auch Angst vor Ressentiments gegenüber uns deutschen Neuankömmlingen. Ganz ehrlich- viele Leute hatten uns vor den sturen Lothringern und ihrer Deutschenfeindlichkeit gewarnt. Wir wurden von deutschen Bekannten als Steuerflüchtlinge beschimpft, unser Umzug sehr kritisch beäugt. An so manchem Tag im Sommer 2008 hatte ich morgens Angst, dass über Nacht ein Ei an unsere Fassade geworfen worden war. Nachdem der Einzug fertig war, nahm ich mir den Mut und mein bestes Französisch und sprach meine Nachbarin an, die gerade im Garten arbeitete. Sie war klein, ihr silbernes Haar trug sie zum Dutt. Ich stellte mich vor. Sie lächelte milde, als ich sie fragte, ob sie denn auch deutsch spreche. Sie antwortete mir , sie spreche immer deutsch. Außerdem würde sie auch nur deutsches Fernsehen schauen, weil bei den Franzosen immer Quatsch zu sehen wäre. Sie fragte mich, woher wir kommen, dass das Haus so schön wäre und sie sich über nette Nachbarschaft freute.
Wir sahen uns an den folgenden Tagen immer öfter und (zu dem Zeitpunkt rauchte ich noch) genossen unsere Zigaretten beim gemeinsamen Abendplausch. Sie sprach vom Aspirateur, den sie nicht mehr so gut führen konnte und wie froh sie war, dass ihr Enkel bei ihr lebte. Pierre war etwa in unserem Alter und kümmerte sich rührend um seine Großmutter. Eines Abends, ich saß auf unserer Treppe und Madame König saß nur etwa 4 Meter von mir auf ihrer kleinen Terrasse vor ihrer Haustür, da begann sie zu erzählen- von früher. Sie erzählte, dass sie nach dem Krieg- etwa 1946/47 mit ihrer Mutter in Saarbrücken zum Einkaufen war. Der Winter war hart und die „Königskinder“ brauchten warme Mäntel. Als sie die schwer bewachte Grenze zwischen Sarreguemines und Hanweiler passierten, wurden sie von französischen Grenzern angehalten und zwei Stunden warten gelassen, danach befragt, was sie denn genau gekauft hätten. Immer wieder stellte der französische Grenzer die Frage nach dem Warum… Warum sie in Saarbrücken und nicht in Frankreich eingekauft hätten. Frau Königs Mutter kam in große Bedrängnis- nach Jahren deutscher Besatzung war ihr Französisch schlecht und Frau König selbst hatte bis zum Ende des Krieges- sie war 8 Jahre alt- nur deutsch gelernt und gesprochen- die Repressalien waren hart. Schließlich durften sie gehen- mit dem Hinweis, dass sie jetzt Franzosen seien und dass sie in Zukunft in Frankreich einkaufen sollten. Frau König schmunzelte. Was der Zöllner bei der Durchsuchung übersehen hatte, war ein Buch in einer Seitentasche ihrer Mutter. Stolz stand sie auf, legte ihre Zigarette in den Aschenbecher verschwand kurz hinter ihrer Haustür. Nur eine Minute später war sie wieder da- ein zerfleddertes Buch in der Hand- die Struwwelliese. Das ist das Buch! Kennst du das? Ich habe es immer noch, als Erinnerung an meine Mutter und die schweren Zeiten nach dem Krieg mit all den Grenzen und Kontrollen, damit wir in unseren guten Zeiten nicht vergessen, wie es früher einmal hier war. Was wir Lothringer, wir Saargemünder erdulden mussten- von beiden Seiten. Das darf man nicht vergessen! Frau König hatte Tränen in den Augen. Sie nahm ihre Zigarette, die schon fast abgebrannt war und verabschiedete sich in die Nacht.

Frau König lebt nicht mehr, aber wenn ich die Struwwelliese in meinem Bücherregal stehen sehe, muss ich an sie denken. Heute mehr denn je- mitten im Confinement. Bleibt gesund und genießt den Maifeiertag!

Tag 44 der Ausgangssperre

🇨🇵 🇩🇪 Bei schönem Wetter fällt es mir besonders schwer bei der täglichen Hunderunde den 1 km Radius um unser Zuhause einzuhalten, darum ist nicht nur die Natur froh um den Regen da draußen. In unserem 1 KilometerBewegungsradius liegt, zwischen der Rue des Myosotis und der Rue de la Montagne das alte Hospital von Sarreguemines. Es thront über der Stadt mit all den Türmchen und Verzierungen wie ein verwunschenes Schloss, das längst in einen DornröschenSchlaf gefallen ist. Eines der schönsten Gebäude von Saargemünd.
Als wir hierher zogen, war es gerade „außer Betrieb“ gesetzt worden. Überall standen Kartons mit medizinischem Gerät, riesige Umzugswagen wurden gepackt, um die medizinische Ausrüstung zum neuen Krankenhaus Robert Pax zu bringen. Nach fast 140 Jahren hatte das alte Gebäude seinen Dienst erfüllt. Zunächst wurde es still um den beeindruckenden Jugendstilbau. Doch dann fassten die Eigentümer den Entschluss, das alte Krankenhaus weiter zu nutzen- zuerst fand eine Schulkantine ihren Platz darin, dann ein Service der Stadtverwaltung, der Hubschrauberlandeplatz wurde in Baugrundstücke umfunktioniert bis dann die Entscheidung fiel Wohneinheiten zu schaffen. Ich frage mich immer, wenn ich mit dem Hund dort vorbeigehe, wie es sich darin leben lässt. Hinter diesen dicken Mauern hat sich viel Leben ereignet, sind aber auch viele dramatische Sachen passiert- 1918 grassierte hier in Saargemünd die letzte Pandemie- die spanische Grippe. Der deutsche Schriftsteller Alfred Döblin war zu der Zeit hier Militärarzt. Das Krankenhaus war damals im Zentrum des Geschehens. Ich weiß nicht, ob ich darin Leben könnte- wahrscheinlich würde ich jede Nacht wach liegen.
Vor ein paar Jahren wollten wir mal „anders“ Silvester feiern. Wir waren wie so viele andere Saargeminner in der Neujahrsnacht zur alten Schlossruine über der Stadt gefahren, weil man von dort einen schönen Ausblick über Saargemünd hat. Kamera und Sekt in der Tasche, hatten wir frühzeitig einen guten Platz ergattert- vorne an der Mauer- schön deutsch- schon um 23.30 Uhr. Doch während wir warteten, zog der Nebel im Saartal herauf und nix war mehr mit unserer schönen Aussicht auf die Stadt mit dem tollen Feuerwerk. Wir warteten und warteten, doch die Sicht wurde immer schlechter, der Nebel immer dichter. Um 23.55 Uhr saßen wir wieder im Auto und wollten schnell nachhause, um dort gemeinsam auf das neue Jahr anzustoßen. Ich fuhr wie ein Henker, um rechtzeitig zuhause zu sein, aber dann kamen die 0 Uhr Nachrichten im Radio. Ich stoppte, wir wünschten uns noch im Auto ein frohes neues Jahr- da klopfte es an unser Autofenster. Ich habe mich noch nie so erschrocken. Da standen Julie und Erik, die Beiden wollten nur schnell von einer Party in der Stadt nachhause- sie hatten ihre Feuerwerkskörper zu hause vergessen. Sie hatten sich dabei aber -genauso wie wir- in der Zeit verschätzt und waren nun wie wir am alten, verlassenen Hospital gestrandet. Wir stiegen aus, wünschten uns ein „Bonne Année!“, ließen den Wagen stehen und schlenderten gemeinsam nachhause. Unterwegs trafen wir fast alle unsere Nachbarn auf der Straße, wir stießen zusammen an, verteilten unzählige Bises, die besonderen französischen Umarmungsküsse, und hatten eine der schönsten SilvesterStraßenParties meines Lebens.

Das Auto wollte ich am Neujahrstag abholen. Da stand gerade die Police bei meinem kleinen Flitzer vor dem alten Hospital und ich sah, dass ich im Halteverbot geparkt hatte. Mist, ein PV von 25€. Ich sprach die Polizisten an, wünschte ein Bonne annee und erklärte die Situation. Sie lachten und einer von ihnen nahm den PV von meiner Windschutzscheibe. Er meinte, das wären dann ja besondere Umstände gewesen und daher zu entschuldigen. Er lächelt bis heute, wenn er mich aus dem PoliceAuto heraus sieht- wie gestern wieder, mit Klara und Bragi- am alten Hospital.


Also passt gut auf wo ihr parkt 🙂 Bleibt gesund!

Tag 43 der Ausgangssperre

Als unser Premierminister Philippe gestern in der französischen Nationalversammlung sprach, waren nur wenige Abgeordnete anwesend. Die, die da waren, saßen brav in vorgeschriebenen Abstand. Die Nationalversammlung so zu sehen hat schon etwas Befremdliches. Nachdem nun Österreich die völlige Aufhebung der Ausgangssperre und der anderen verhängten Maßnahmen verkündete, nachdem die Maßnahmen des Saarlandes durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden, waren wir ganz gespannt, wie es nun bei uns hier im Grand Est und dem Rest von Frankreich weitergeht. 

Was Édouard Philippe verkündete klingt nach nicht viel Erleichterung, bedeutet aber doch die Wiedererlangung eines -wenn auch kleinen- Teils unserer Freiheit. Frankreich hat die Krise noch nicht überstanden und achtet penibel darauf, dass Covid 19 das Land nicht in Form einer zweiten Welle überrollt. Wir werden Erleichterungen haben, unser Bewegungsradius wird sich um das Hundertfache, auf 100 Kilometer, erweitern. Wir dürfen uns dann auch wieder ohne Ausgangsschein in diesem Radius bewegen. Wer zukünftig Geburtstag hat, Jubiläen feiert oder Familienfeiern und Treffen mit Freunden plant, darf zusammen mit zehn Leuten diese Festlichkeiten begehen. Sport darf auch wieder mehr betrieben werden, Parks und Naherholungsgebiete werden teilweise wieder eröffnet. Die Gastronomie bleibt weiter geschlossen. Großveranstaltungen sind natürlich genauso abgesagt wie Kinos geschlossen bleiben. Schulen öffnen teilweise, in besonders betroffenen Regionen bleiben sie weiterhin geschlossen.

Die Krise zeigt, wie verwundbar das französische Gesundheitssystem nach Jahren der Sparerei ist. Gerade deshalb finden wir die Handlungsweise, die die französische Regierung in Bezug auf Corona zeigt wirklich beeindruckend. Sie ist absolut notwendig. Abhängig bleiben die Lockerungen allerdings von der Infektionszahlen. Gibt es bis zum 11. Mai weniger als 3000 neue Infektion pro Tag, dann wird am 11. Mai gelockert. Ist das nicht der Fall, bleiben die bisherigen Regelungen in Kraft. Die Infektionszahlen schweben also wie ein Damoklesschwert über all den schönen Ankündigungen. Der 11. Mai, das sind jetzt noch zwölf Tage. Zwölf Tage, in denen noch viel passieren kann. Zwölf Tage die immer noch gefüllt sind mit dem Gedanken und der Hoffnung an ein normales Leben, das es so schnell nicht mehr geben wird. Trotz der Aussicht auf 100 km Bewegungsradius, blieb ich nach der Nachrichtensendung etwas ratlos zurück. Während ich mir eine Tasse Kaffee kochte, erreichte mich eine Nachricht von Julie. Sie fragte, ob ich wüsste, wann wir wieder nach Deutschland dürften. Und dann war da die Grenze wieder in meinem Kopf. Wir wissen nur, dass die Grenzen bis mindestens Montag geschlossen sind. Die Berichte über Widrigkeiten beim Grenzübertritt häufen sich in der Presse. Sie haben es in die überregionalen Zeitungen Frankreichs aber auch Deutschlands geschafft. Sie geben ein trauriges Bild ab- ein genauso trauriges Bild wie die weißen Absperrungen auf der Brücke zwischen Sarreguemines und Hanweiler. Julie gibt sich mit der Antwort: ‚Keine Ahnung! Wir hoffen auf nächste Woche!’ zufrieden. Dann schreibt sie eine zweite Nachricht. ‚Le poopee est arrivé!‘ Ich überlege kurz, frage, was sie denn meine. Sie beordert mich zum Zaun. Als ich rauskomme steht sie da und hält mir grinsend ein Paket hin. „Das ist das Klopapier, das ich vor lauter Angst vor drei Wochen online für uns alle bestellt habe! Jetzt ist es endlich da!‘ Da ist er wieder, der alltägliche Coronawahnsinn, den wir hier leben, mit der Verrücktheit, die wir alle so dringend brauchen. Wir lachen und das tut gerade sehr gut. 

Bleibt gesund, tragt eure Masken und habt einen schönen Tag!