Rollende Vögel und der Hasengott

Als wir vor vielen Jahren auf den Blauberg gezogen sind, hat uns unser Haus gleich verzaubert. Welches Zimmer das Meine werden sollte, war sofort klar. Die Gaube nach vorne heraus, direkt unterm Dach mit Blick auf unsere kleine Straße hatte es mir sofort angetan. Saschas Plattenzimmer grenzt an unser Wohnzimmer und ich arbeite direkt darüber mit Blick auf alles, was sich in der Rue der Camelias so tut. Mittlerweile steht in meiner Gaube ein grünes Sofa, das mein Arbeitszimmer zu meinem Schul-Zoom-Zimmer oder Facetime- Kontakt-nach- außen- Zimmer werden ließ. Gemütlich lässt es sich hier sitzen, lesen, schreiben und telefonieren. So war es auch letzte Woche, während des großen Regens.

Mein Fenster stand offen, ich saß auf dem Sofa und zoomte gerade mit einer meiner Cousinen, als von draußen Julie nach mir rief. Ich hatte sie früh morgens schon schreien gehört, aber ich dachte, Loic oder Theo hätten Unfug getrieben und maß ihrer lauten Stimme keine große Bedeutung zu. Ich musste sogar schmunzeln, weil die beiden Jungs zu richtigen Lausbuben im besten Sinn herangewachsen sind. „Nadine! Nadiiiiiiiine!“ Ihre Stimme klang jetzt anders und ich wunderte mich, dass sie bei strömendem Regen draußen war. Ich streckte meinen Kopf durch mein Gaubenfenster und sah Julie die Kapuze über den Kopf gezogen, in Gummistiefeln, völlig durchnässt in strömendem Regen vor dem Haus stehen. „Hast du unsere Hasen gesehen? Wir suchen sie schon den ganzen Morgen! Du hörst mich bestimmt schon die ganze Zeit rufen!“ Darum hatte sie also herumgeschrieen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. „Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt? Wir hätten dir suchen helfen können!“ „Ich hab überall gesucht und der kleine, der ängstliche Schoko ist nicht zu finden! Es ist wie letztes Jahr! Weißt du noch während des Confinements? Nur dieses Mal hat Loic das Hasengatter aufstehen lassen! Lapidou, der große Hase ist wieder da, aber Schokooooooooo ist unauffindbar!“ „Ich komme sofort runter! Sascha ist zuhause und kann auch suchen helfen. Vielleicht sitzt er bei uns hinter dem Haus!“ „Ja, das wäre super! Aber ihr müsst euch zuerst noch um euren Vogel kümmern!“ Unseren Vogel? Schoss es mir durch den Kopf. „Wir haben keinen Vogel, Julie!“ „Doch, auf eurer Treppe sitzt ein kleiner Vogel!“ Als hätte ich es geahnt, zwei Tage vorher hatte ich mich mit Sascha noch unterhalten, was wir machen würden, wenn einer der kleinen Mauersegler, die unter unserem Hausdach nisten aus dem Nest fallen würde. Das Gespräch mit meiner Cousine musste ich jäh abbrechen und rannte die Treppe hinunter, um den kleinen Nestling vor den Fängen der Nachbarskatzen zu retten. Als Sascha und ich dann auf unserer Treppe standen, da saß da völlig durchnässt und hilflos wirklich ein kleiner Mauersegler. Ihr müsst wissen, ich hab Angst vor kleinen Tieren und so war Sascha sein Retter in größter Not. Schnell eine alte Kiste und ein Handtuch- Sascha setzte den Kleinen behutsam in die Notbehausung und nahm ihn mit herein, während Julie und die Kinder weiter den verlorenen Hasen suchten. Was tun? Da war guter Rat teuer. Auf Facebook in einer entsprechenden Gruppe um Hilfe gefragt und direkt erhalten. Es war zu spät den Kleinen noch in die Wildvogelauffangstation zu bringen, aber am nächsten Morgen um Acht stand die Kiste mit dem kleinen Mauersegler, in der er sich es schon ganz gemütlich gemacht hatte, auf dem Tisch der Wildvogelauffangstation in Püttlingen. Eine deutsch- französische Rettungsaktion war gelungen, der Mauersegler wieder in Sicherheit. Mission geglückt.

Zurück in unserer Straße, war ich verwundert, was am Place des Fleurs geparkt war: eine ganze Reihe Elektroroller war anscheinend in der Stadt verteilt aufgestellt worden. Auf ihnen steht der Name der Verleihfirma „Bird“, zu deutsch Vogel. Ich musste schmunzeln und an den kleinen Mauersegler denken. Noch mehr musste ich allerdings schmunzeln, als ich mir vorstellte, wie Sascha und ich sicherlich in nächster Zeit die rollenden Vögel ausprobieren und uns zur Lachnummer der Straße machen würden. Wieder die zwei verrückten Deutschen, da vorne. Ich stieg aus meinem Auto und kaum hatte ich die Tür zugeschlagen, kam Theo auf mich zu. „Nadine, Nadine!“ Ich dachte gerade schon darüber nach, wie ich ihn über den Hasenverlust trösten könnte, da schoss es schon aus ihm heraus: „Er ist wieder da! Schoko ist wieder da! Ich hatte solche Angst, dass er nicht mehr kommt und konnte nicht schlafen. Da bin ich zu Loic hinüber in sein Zimmer geschlüpft und wir haben beide zum Hasengott gebetet, dass er Schoko zurückbringt. Jetzt ist er wieder da!“ Das Kinderlachen schallte über den Berg und auch ich war dankbar, dass der Hasengott einsichtig gewesen war. Abends sah ich zu Julie, Eric und den Kindern hinüber, als Loic gerade die Hasen fütterte. Er prüfte gefühlte 100mal, ob das Gatter wirklich geschlossen war und ging dann zufrieden zum Abendbrot. 

Ich sitze jetzt wieder in meiner Gaube und wähle die Nummer meiner Kusine. Sie lacht ins Telefon, als ich ihr die tierische Geschichte vom MauerseglerNestling und Schoko erzähle. „Siehst du,“ sagt sie, „das ist wirkliche deutsch-französische Zusammenarbeit!“ Draußen höre ich die Jungs toben und die Mauersegler pfeifen- wieder alles im Lot auf dem Blauberg. Bleibt gesund da draußen und denkt dran, der Piks tut nicht weh!

Der MatheGrieche

Der MatheGrieche

Die Zeiten sind sonnig- zumindest draußen. Wir befinden uns etwa eine Woche vor dem geplanten Ende des Confinements und sind gespannt, ob sich auch das Couvre-Feu auflöst. Nach langen Monaten ohne abendlichen Ausgang, sei es nur einfach so zur Lichtmalerei oder anderen Freizeitaktivitäten, hörten wir gestern gespannt die Pressekonferenz unseres Premierministers Castex und wussten nicht, ob wir uns ob der angekündigten Öffnungsschritte wirklich freuen sollten. Es ist schon sehr verwunderlich, dass Frankreich einen so „ganz“ anderen Weg einschlägt- aber wie so oft- so nah beide Länder in anderen Dingen auch beieinander stehen, bewahrheitet sich mal wieder der Grundsatz: andere Länder- andere Sitten.
Im Moment befinde ich mich zwar in den französischen verordneten Ferien, aber meine deutschen Nachhilfeschützlinge wollen weiter gefordert und gefördert werden. Abiturvorbereitung reiht sich hinter RealschulabschlussPrüfungen, Studienarbeiten und täglichen Nachhilfe-ZoomKonferenzen ein- da Französisch, Englisch, Deutsch und da Mathe. So auch gestern. Da hatte ein junger Mann eine ganz eigene Theorie zum Thema andere Länder andere Sitten. Als ich mit ihm zusammen die griechischen Winkelbezeichnungen lernte und er erfuhr, dass die von den alten Griechen stammen, ging er kurz in sich, schaute mich ernst an und sagte: „ Nadine, ich war bestimmt auch mal ein Grieche. Also so einer von früher.“ Ich konnte das nicht ganz einordnen und fragte natürlich nach. „Wie kommst du denn darauf?“ „Also, in Religion haben wir über die verschiedenen Weltreligionen und über die Wiedergeburt gesprochen. Also ich war definitiv mal ein Grieche! Ich bin nämlich ein Gyrosfanatiker!!“ Ich hatte LachTränen in den Augen und konnte kaum weitermachen. Wir beide mussten so lachen und es tat so gut- gerade in diesen Zeiten. Mit diesem Lachen im Gesicht bewältigte er hinterher alle restlichen Aufgaben. Und ich? Mich ließ er nach der tollen Mathestunde zurück mit einem Lächeln und dem Bewusstsein, dass es auf beiden Seiten der Grenze mit Humor zurück in die vor-Covid-Normalität gehen wird.
Der Blauberg und damit auch ich in meinem Lehrer-Elfenbeinturm, wartet also genau wie ihr auf das Ende von Covid. Geimpft sind schon einige Bewohner, die anderen werden regelmäßig getestet und wir halten Abstand- soweit alles Corona-Normalität. Passt auf euch auf und haltet die Regeln ein, dann habt ihr da drüben die Notbremse bestimmt bald nicht mehr nötig.

Bleibt Gesund!

Kaltwarme Feiertage

Nun hat es uns wieder, das Confinement. Nach einer Woche erneuter Ausgangsbeschränkung auf 10 km Umkreis von unserem Haus, dem Verbot die Regionsgrenzen ohne triftigen Grund zu überqueren, Sperrstunde zwischen 7 Uhr abends und 6 Uhr morgens, hat sich das Confinement-Gefühl wieder halbwegs eingestellt. Die französische Schule hat geschlossen und die Ferien wurden vorgezogen. Für die Eltern, die im Gesundheitsbereich arbeiten gibt es eine Notbetreuung in der Schule. Unser kleiner Nachbar Loic zieht es eher vor bei mir in die „Schule“ zu gehen- in meinem Büro, neben meinem Schreibtisch, den ich zum Homeschooling nutze, habe ich ihm einen kleinen Tisch frei gemacht und wollte mit ihm zusammen in eine neue Arbeitswoche starten. Wie es der Teufel so wollte, es kam wie immer anders. Am Mittwoch vor Ostern fiel unsere Heizung aus- nicht, dass sie erst ein DreiviertelJahr alt wäre. Unerwartet schnell kam unser Heizungsmonteur vorbei und ich hoffte die Kaltwasserperiode wäre schnell vorüber, denn das Wetter wurde wie ihr wisst nicht unbedingt besser. Ok, also unser guter Chauffagiste kam, sah und schien zu siegen. Ersatzteil wurde schnellstens besorgt und nachdem es eingebaut war, festgestellt, dass es doch nicht die Zündung war. Alles klar, das Haus kühlte mehr aus, aber der liebe Heizungsinstallateur meinte, er würde das richtige Ersatzteil schnell- also bis Donnerstag besorgen – eine Nacht und einen Tag- wir sind ja keine Jammerlappen- das überleben wir. Gesagt, getan- Gründonnerstag, pünktlich zum Osterfest, rief der Heizungsmann an, sagte, das Teil sei da, er komme gleich vorbei. Prima- alles geklappt. Ein paar Minuten später stand er vor der Tür und verschwand mit meinem Mann im Keller, um die Reparatur voranzubringen. Böses schwante mir, als mein Sascha mit gesenktem Kopf aus dem Keller wieder nach oben kam. „Das Ersatzteil ist eingebaut,“ sagte er, „aber die Heizung läuft immer noch nicht! Wir wissen jetzt aber woran es hängt- ein gebrochenes Kabel!“ „Hat er das auf Lager?“ Fragte ich etwas verzweifelt. „Leider nein. Er muss es bestellen und er schaut, dass er es am Dienstag hat und kommt dann sofort zum Einbau!“ Ich erstarrte angesichts des kalten Duschwassers und der kalten Heizung. „Die ganzen Ostern kaltes Wasser?“ Sascha lächelte mich fast schon schadenfroh an und meinte nur kurz :“Geht ja alles auf Garantie!“ Ich dachte an Julien – meine Pläne mit ihm in meinem Büro zu arbeiten wurden über den Haufen geworfen. Wir hatten uns irgendwann ein Öfchen zum campen gekauft und das musste nun das Wohn- und Esszimmer heizen und alles geben, damit jeder von uns etwas davon hatte. Alles also nur eine Frage der Organisation. Über Ostern trugen wir also das Öfchen von Zimmer zu Zimmer- vor allem ins Bad. Meine Haare freuten sich über die Kaltwasserkur und so überlebten wir von der ganzen Situation etwas belustigt und mit Vorfreude auf den Reparaturdienstag die Osterfeiertage. 

Ich glaube jedem ist klar, dass die Ersatzteillieferung am Tag nach den Feiertagen nicht um 8 Uhr morgens von statten geht und daher der Heizungsfuzzi nicht um 9 vor der Tür stehen kann- man wünscht es sich trotzdem. Loic kam um 9.30 Uhr  und setzte sich zu mir an den Esstisch, in die Nähe des Heizöfchens, dass unser Wohn- und Esszimmer wohlig wärmte. Wir legten los- ich mit meinen Videokonferenzen und Julien mit seinem hart durchgeplanten „Ecole direct“- Unterrichtsplan- Respekt, da hat sich seine Lehrerin wirklich viel Mühe gegeben. Zwischendurch schaute ich aus dem Fenster in festen Hoffnung, das Auto des Mechanikers den Blauberg herauffahren zu sehen. Ich malte mir aus, wie es endlich wieder „ordentlich“ warm sein würde und wie ich wahrscheinlich das warme Wasser in der Dusche ordentlich ausnutzen würde. Zu meinem Unmut kam kein ‚Pöscho partner‘ herangefahren und nicht nur die Dusche blieb wieder kalt- Ersatzteil war noch nicht angekommen. Als ich Sascha fragte, was der Heizungsmonteur denn genau gesagt habe, da sagte er: „Naja, ich stand nebendran, als der Monteur mit dem Hersteller der Heizung telefoniert hat. Und ich meine verstanden zu haben, dass der Herstellermitarbeiter „mercredi“ als Liefertag gesagt hat. Der Monsieur schaute mich dann an und sagte, das Teil käme am Dienstag!“ Da wurde mich schlagartig klar, w as passiert war. Wir waren echtem „Freutsch“ (so nennen wir hier die deutsch-französischen Wortvermengungen) aufgesessen. Ich musste lachen- ein Übersetzungsfehler. Mercredi, das ist der Mittwoch und nicht der Dienstag. In all seiner Bemühung hatte der Heizungsbauer sich bei der Übersetzung des Tages geirrt und so wurde aus Mercredi anstatt Mittwoch, der Dienstag. Und was soll ich sagen, Mittwoch um 10 stand der nette Mann vor unserer Tür, winkte mit dem Kabelersatz und binnen Minuten wurde das Haus wieder aufgeheizt. So ist das im Lothringer Sprachengewirr.

Unser Wasser ist wieder warm und wenn jemand mal einen Heizungsmonteur hier braucht- ich kann unseren „wärmstens“ empfehlen. Schönen Sonntag euch drüben wie hüben 🙂 Passt auf euch auf und bleibt gesund! 

Sperrstunde und verwaistes Gleis

Wenn der Wind vom Saartal herauf weht, dann kann man ihn auf dem Blauberg am intensivsten wahrnehmen. Manchmal trägt er den Geruch der großen Reifenfabrik herauf zu uns, manchmal transportiert er- mitten in der Ausgangssperre Geräusche nach oben. Die einfahrende Saarbahn mitten in der Nacht, klappern in der Ferne, quietschen der Bremsen, ankommen, verbinden. Die Sache mit dem Verbinden ist in diesen Zeiten nicht so einfach. Die Saarbahn höre ich seit ein paar Wochen nicht mehr. Die Verbindung, die für mehr als nur eine Bahnlinie steht, die Verbindung, die für die Enge der Region Moselle an das Saarland steht, ist gekappt. Züge passieren Saargemünd nur noch in Richtung Metz oder Direction Strasbourg. Gleis 1 bleibt verwaist und keiner weiß, wann das Symbol der Verbundenheit wieder fahren kann. Für viele Menschen wirft das hier bei uns enorme Probleme auf, denn die Saarbahn wird normalerweise rege genutzt- auch von uns. Ein Termin in Saarbrücken steht an oder einfach nur ein Bummel in der Stadt- die Saarbahn ist ein tolles Verkehrsmittel. Seit ihrer Einführung bietet sie nicht nur Gelegenheitsnutzern wie Sascha und mir die Möglichkeit ohne Parkstress zwischen den Saarmetropole und unserer Perle hin und her zufahren. Schüler nutzen die Saarbahn zum Schulbesuch in den umliegenden deutsch-französischen Schulen, Arbeitnehmer kennen die Vorzüge des Saarbahnverkehrs, Touristen genießen die Fahrt durch den Saar- und Bliesgau bis sie in Sarreguemines ankommen. Die Saarbahn ist also mehr als nur ein Zug, der zugegebenermaßen manchmal etwas verspätet, die Regionen GrandEst und das Saarland zusammenbringt. Die Saarbahn kann mit noch einer Besonderheit aufwarten: Sie wird aus der Saarbahn auf unserer GrenzSeite zur französischen „Tram“. Steigt man in Saargemünd aus dem Zug, dann sieht man die Leute, wie sie die Billetts für die Tram ziehen wollen.

Und jetzt? Stillstand mal wieder.. wie im letzten Jahr. Ressentiments kommen wieder hoch. Proteste werden in der saarländischen Öffentlichkeit auf die Testfrequenz reduziert- andere Themen der Kundgebungen nicht wahrgenommen,doppelte Steuerlast beim Kurzarbeitergeld oder die Belastung der Familien beim Grenzübertritt sind kaum ein Thema. Schade, denn sonst hätten die deutschen Zeitungsleser und Nachrichtenseher vielleicht mehr Verständnis für ihre französischen Nachbarn- und das sind wir Nachbarn. Da mag der eine den anderen nicht immer leiden, aber im Grunde genommen sitzen alle im selben Boot, wenn es um die Stimmung in unserer aller Heimatregion geht. Bei uns hier oben auf dem Berg ist sie trotz allem gut. Sie ist nicht für alle rosig.

Aber was wir uns bewahrt haben, das ist die positive Einstellung. Die Tatsache, dass man Covid überleben kann, das Bewusstsein, dass man sich glücklich schätzen kann, von lieben Menschen umgeben zu sein, das gegenseitige Aufmuntern, wenn es mal nicht so läuft und die für uns spürbare französische Solidarität- das macht das Leben trotz allem lebenswert. Nicht zu vergessen, wir leben hier in einem der schönsten Länder der Welt und dürfen teilhaben an dieser Gesellschaft, die uns dazu bewegte Wahl-Franzosen zu werden. Sie hilft uns den Kopf hoch zu halten. Wenn er auch manchmal schwer zu tragen ist, die Menschen hier auf dem Blauberg sind unser liebstes Frankreich- der Beweis, dass Europa gelebt werden kann….. In einer halben Stunde, um 19 Uhr, ist es wieder soweit: Couvre-feu, Sperrstunde- Sascha muss sich mit dem Kärcher sputen. Und dann um 20 Uhr sitzt ganz Frankreich wieder vor dem TV und wartet sorgenvoll auf die Rede unseres Präsidenten Macron. Wir rechnen mit einem harten Confinement. On croise les doigts- wir hoffen, dass es nicht so kommt… Mal sehen. Bleibt gesund da draußen- ob Grenzgänger, Deutscher oder Franzose….

Jour +6 des Confinements

Babylonisch auf dem Blauberg

Das Confinement hat seine nächste Phase erreicht. Noch am Wochenende habe ich über die  rebellierenden Bürgermeister geschrieben- jetzt hat Castex reagiert und hat den großen Einkaufszentren verboten Waren, die nicht in den Bereich des täglichen Bedarfs fallen zu verkaufen. Spielzeugregale findet man seitdem abgehängt und Bücherregale kauern unter großen Planen bei Coa und wie sie sonst noch alle heißen. Anstatt also die kleinen Geschäfte wieder öffnen zu lassen, ist nun jeder Vor-ort-Verkauf nicht notwendiger Güter eingestellt. Man mag über die Sinnhaftig- oder Sinnlosigkeit streiten- in die Arme der Versandgiganten treibt es die Kundschaft allemal. Dem entgegen steht die Initiative „Click-et-Collect“ der Sarregueminner Einzelhändler. Ganz einfach auf den FacebookSeiten oder den Homepages der Geschäfte unkompliziert Bestellungen aufgeben und so trudeln auch die nicht so ganz notwendigen Dinge ins Haus. 

So wie sich die Einkaufswege online kreuzen, so kreuzen sich auf dem Blauberg hier bei uns immer wieder die sprachlichen Wege in Realität. Natürlich immer in gebührendem Abstand- aus dem Fenster heraus, bei der Hunderunde über die Straße hinüber, per WhatsApp von Haus zu Haus oder Telefon – ja, das soll es auch noch geben- den guten alten Anruf. Melody brauchte Hilfe beim Zahnarztbesuch. Sie sollte eine Weisheitszahnbehandlung bekommen. „Hi Love! Hast du morgen früh Zeit? Ich brauche jemanden, der mich zum Zahnarzt bringt!“ Zu ihren unsäglichen Zahnschmerzen kam die Angst von einem Gendarm kontrolliert zu werden und dann nicht die richtigen Worte zu finden. An die Attestation haben wir uns schon wieder gewöhnt und fast alle hier oben nutzen die Handy-Version- sehr praktisch und spart Zeit und Papier. Die neue Version speichert die Formulareingabe für’s nächste Mal ab und so müssen wir beim nächsten Ausgang nur noch die Uhrzeit eingeben. Die Bescheinigung wird dann kreiert und es kann losgehen, auf unseren Kilometer, für eine Stunde oder zum Einkauf oder wenn man jemanden zu einem Arztbesuch begleiten muss. Ganz wie ich heute. Den Abschluss fand unsere Arztfahrt in Erics Apotheke- und dort fand sich doch tatsächlich ein junges Mädchen, etwas schüchtern, aber auf Zack, das mit Melodie Englisch sprechen konnte. Es kann sehr interessant werden, wenn eine Engländerin mit einer deutschen in eine französische Apotheke geht und dort – für französische Verhältnisse- unverhofft auf eine junge französische PTA trifft, die englisch besser als deutsch spricht. Letztendlich war es für Mel eine Erleichterung und als wir wieder im Auto saßen, schaute sie mich ganz erstaunt an und sagte: „Hast du das gehört? Ich geb dich Hoffnung nicht auf, dass Englisch mal zur Standard-Zweitsprache hier wird!“ Klar hab ich mich für die gefreut, aber ein bisschen nachdenklich hat mich das dann schon gemacht. Immerhin ist das Deutsch hier in der Region von bei weitem größerer Bedeutung. 

Das hab ich im Übrigen gemerkt, als ich wieder zuhause war. Kaum hatte ich die Tür aufgesperrt und auf mein Handy gesehen, da hatte mir die liebe Bernadette eine Nachricht von größter Dringlichkeit, Urgence geschrieben. Kein medizinischer Notfall, sondern ein besonders dringender Fall von Sprachenwirrwarr und NachbarschaftsÜbersetzungsnotwendigkeit. Da war es wieder, das Gefühl, dass hier in unserem kleinen Universum jeder seinen Platz hat und die gegenseitige Hilfe großgeschrieben wird. Und wenn wir Melodys Idee des „Cookie-Exchange“ umsetzen, dann kann uns nix mehr passieren. Schokoladencookies sind gut für die Nerven, und die brauchen wir alle hier oben, dort unten und bei euch da drüben. Bleibt gesund!

Gestern habe ich von CoronaInfektionen in meiner alten Heimat erfahren- auf diesem Weg schicke ich natürlich die besten Wünsche über die Grenze! Passt auf euch auf! 

Jour +2 Reconfinement

Revolte! Das meine lieben Franzosen fast immer dafür sind dagegen zu sein ist allgemein bekannt. Hier wird das trotz des Confinements an den Gelbwesten deutlich, die gestern noch am Kreisel Richtung Roth-Hambach tapfer ausharrten und ihre Fahnen im Wind wehen ließen. Die Ordnungshüter werden das wohl noch am Wochenende tolerieren- genauso wie sie die Heimreisenden nach den Allerheiligen-Ferien noch durchs Land fahren lassen, obwohl wir eigentlich unser Heimatdepartement nicht verlassen dürfen. Nur in Ausnahmefällen- wie zur Fahrt zur Arbeit dürfen Sascha und ich genauso wie die anderen DepartementsEinwohner- das Departement Moselle57 nicht verlassen. Ab Morgen wird sich hier nach den „Anlauftagen des Confinements“ nocheinmal einiges verändern.Die Kinder müssen alle in der Schule Masken tragen. Nur den unter Dreijährigen bleibt diese Pflicht erspart. Die „Creche“ bleibt für die Kinder weitgehend maskenfrei- nur die Erzieher sind verpflichtet die Masken aufzusetzen. Der kleine Theo von nebenan muss sich mit seinen 4-Jahren also auch maskieren, sieht das Ganze aber sportlich und eher als Spiel. Derweil regt sich bei seinem älteren Bruder der leise Ansatz des Widerstandes. Allerdings nicht wegen der Maske sondern wegen des Schulanfangs. Blöde Hausaufgaben, die er bis zum letzten Tag aufgeschoben hatte, müssen noch erledigt- der Ranzen gepackt und die Bücher und Hefte kontrolliert werden. Und dabei werden Worte über Worte gemacht- ihr könnt es euch denken. Also an dieser Elternmisere am Ende der Ferien ändert Corona wohl nichts.Die Aufmüpfigkeit mancher unserer „Compatriotes“ zeigt sich auch an einer besonderen Entscheidung des Maire (Bürgermeisters) von Longwy im Nachbardepartement, der 54 „Meurte-et-Moselle“. Entgegen der Entscheidung von Macron alle „nicht dem lebensnotwendigen Bedarf dienenden“ Geschäfte zu schließen, erlaubt der Maire von Longwy gerade diesen kleinen Geschäften in seiner Gemeinde trotz des Macron-Erlasses wieder zu öffnen. Mal sehen, ob sich das der Prefet des Departements so gefallen lässt. Ob der Erlass also so durchgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Andere Bürgermeister (in Frankreich sind die Maires sehr mächtig) haben bereits ihre Unterstützung angekündigt. Es wird also eine interessante Woche. Die Stadt Sarreguemines gab gerade bekannt den Kleinunternehmern neben den Garantien des Staates für Miete und vielem mehr unter die Arme greifen zu wollen.Bis dahin verläuft die Umstellung von „normalen“ Öffnungen der Geschäften, hin zu Liefer- und Abholdiensten fast schon routiniert. Sarreguemines scheint sich in ein „städtisches-Bestell-Dienst-Zentrum“ zu verwandeln und unzählige Annoncen zu Bestell- und Abholdiensten trudeln über die sozialen Netzwerke bei uns ein.Leider sind es nicht nur diese Annoncen, sondern auch Nachrichten zu erkrankten Covid-19 Patienten aus unserer Umgebung. Wir hoffen, dass sie alle durchkommen.Das Französische verfügt über ein Wort, das beschreibt, an was man sich in diesen dunklen Zeiten festhalten soll: „convivialité“ Zusammenhalt, Miteinander. Wir haben das gestern beim Skype-Abendessen mit Freunden zelebriert. Von Sarreguemines, aus dem Confinement in die Welt. Wenn es bei euch in Deutschland, Österreich oder wo immer ihr auch seid, morgen auch wieder losgeht mit einem Lockdown, dann verliert nicht den Mut. Schützt euch und eure Familie und Freunde- und bleibt gesund!

J-0 Le ReConfinement/ Die Ausgangssperre

Nun ist er da, der Jour 0 – seit 0 Uhr sind wir wieder confinemiert, oder wie eine liebe Freundin gesagt hat: eingeigelt. Bragi hat mich heute Morgen auf der allmorgendlichen Runde schon ganz komisch angeschaut, als ich an einer Stelle, an der wir normalerweise weiter geradeaus gehen, wieder umgekehrt bin. Egal, ob der Regen herunterprasselt, zwanzig Minuten Parc Municipal habe ich mir gegönnt. Das ist ein großer Unterschied zum ersten Confinement vom Frühjahr- die Parks sind offen und die Wälder dürfen betreten werden, sofern du einen Parc oder den Wald in deinem Radius von einem Kilometer um dein Haus hast. Wir sind hier oben mit dem wunderschönen saargemünder Stadtpark, dem Parc Municipal- gesegnet. Er gehört in „normalen“ Zeiten schon zu unseren Lieblingsplätzen in der Stadt- jetzt freue ich mich, dass ich zumindest 20 Minuten dort am Tag verbringen kann. Es hat fast was von Eishockey- also von der Zeiteinteilung in Drittel- 20 Minuten hinlaufen- 20 Minuten flanieren zwischen Esel, Schafen, Pfau und Lama- und dann schnell wieder den Berg hoch -20 Minuten bis zur Spitze des Blaubergs. Und dann hoffen, dass die Police dich nicht erwischt, wenn du deine Zeit draußen um 5 Minuten überziehst, weil du nicht schnell genug den Berg hochkommst- das kostet dann mal gleich 135€. So ist das im Confinement. Ich hab es geschafft heute Morgen, alles hat gepasst. Nach 58 Minuten war ich wieder zuhause und wie wenn sie es gewusst hätten, fuhr der Wagen der Police Nationale just in dem Moment an mir vorbei, als ich meine Zauntür hinter mir schloss.  Sie nickten herüber und lächelten. Beide Polizisten lächelten. Mir wurde klar, dass es kein Gegeneinander von Polizei und Bürger gibt. Die Polizei hilft uns, uns zu schützen vor Corona und Covid- auch durch die Strafen für diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, die sie vorsätzlich brechen. 1500€ ist viel Geld für dreimal keine Maske anziehen und dabei erwischt werden. 

Sie werden noch lange kontrollieren, Patrouille fahren und Strafzettel verteilen. Der französische Staat zeigt Präsenz. Das ist angesichts eines unsichtbaren Gegners wie dem CoronaVirus irgendwie beruhigend. Premierminister Castex und unser „Minister für Gesundheit und Solidarität“ haben die Maßnahmen gestern Abend eingehend erläutert- jedem sollte klar sein, was die Stunde geschlagen hat. Für uns Deutsche wirkt die Härte der französischen staatlichen Maßnahmen zuerst irritierend. Aber seit dem Confinement im März und den Zahlen der letzten Wochen, versteht man die Maßnehmen, die jetzt ergriffen werden als aktiven Beweis der Verantwortung des französischen Staates für seine Bürger- auch für uns. Das tut gut.

Bilder des Parc municipal, findet ihr unter meinen Ausflugstipps auf www.zaungeschichten.com für die Zeit nach Corona:-) Bleibt gesund! 

Le Jour-1

Wenn in Frankreich etwas Besonderes bevorsteht wie der Schulanfang oder Weihnachten, dann bringen die Franzosen ihre Freude über das kommende Ereignis mit einem Countdown zum Ausdruck. „Jour -1“ bedeutet: noch ein Tag bis zum großen Ereignis. Heute ist wieder mal so ein J-1. Doch diesmal steht der J-1 nicht im Zentrum von Vorfreude, heute ist der Tag vor unserer Reconfinementierung. Seit gestern Abend ist klar, dass der J-1 wieder bedeutet Abschied nehmen zu müssen von Freiheiten, die uns im Juni wieder geschenkt worden waren. Ab morgen gelten wieder Attestationen, verschärfte Ausgangsregeln- genauere Details liefert uns wahrscheinlich eine Pressekonferenz, die unser Premierminister Castex- unser bewährter Philippe wurde zwischenzeitlich durch Macron ausgetauscht- heute Mittag hält.Wenn eine Rede an die Nation angesetzt wird, dann wissen wir alle, was die Uhr geschlagen hat. Und spätestens nach den fast schon zeremoniellen Schlussworten „Vive la Republique! Vive la France!“, herrscht in CoronaZeiten ein paar Sekunden betretenes Schweigen und man hört fast durch die Häuserwände das tiefe Durchatmen unserer Nachbarn. Genauso war es gestern Abend. Nur hat unser Präsident den beiden Schlusssätzen mit geballter Faust und festem Blick einen anderen vorangestellt: „Nous sommes la France!“ Er hat nicht wieder dem Virus wie im Frühjahr rhetorisch „den Krieg“ erklärt, sondern an das appelliert, was Frankreich ausmacht, was unseren Blauberg und Sarreguemines ausmacht: den Zusammenhalt. Wir werden es auch dieses Mal zusammen mit Abstand schaffen, den Ausbruch des Virus einzudämmen. Wie lange wir brauchen, das steht in den Sternen- aber wir werden sie wieder leben, die französische Solidarität. Nous sommes la France! Die Zaungeschichten gehen weiter, morgen am J-0 des zweiten Confinements. Bleibt gesund wo immer ihr seid. Restez en bonne santé!

16.10. 20 Vlog/ Videotagebuch

Ihr habt es euch wahrscheinlich schon gedacht: Die Zaungeschichten gehen in Anbetracht der CoronaLage im GrandEst weiter. Ich werde zusätzlich zu den Geschichten einen Videoblog führen und ich hoffe, euch gefällt das. Der Wind wehte leider stark und die Sonne war auch nicht spendabel während der Aufnahme heute Morgen- passt aber irgendwie zur Stimmung, in der wir uns gerade befinden. Ein neues Mikro ist schon geordert. Die Videos findet ihr auf www.zaungeschichten.com und dem neuen Videokanal auf Youtube https://youtu.be/rlkCod5wcW0 . 🙂 Bleibt gesund!